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„Dero Waysenhauß in Potsdam“

Im kommenden Jahr feiert die Stiftung Großes Waisenhaus zu Potsdam ihr 300-jähriges Bestehen. Das ist alles andere als selbstverständlich. Denn zu DDR-Zeiten war die Stiftung öffentlichen Rechts aufgelöst worden. Über eine der ältesten mildtätigen Einrichtungen Brandenburgs – und wie sie alle Wechselfälle der Geschichte überstand.

Kinder des Waisenhauses in der Adventszeit, um 1928.
© Stiftung Großes Waisenhaus zu Potdam Archiv
5 Minuten 13.03.2023
Autorin: Katja Wolf

Im Jahr 1724, vor knapp 300 Jahren, gründete der als „Soldatenkönig“ bekannte Friedrich Wilhelm I. ein Waisenhaus für Grenadier- und Soldatenkinder in Preußen. „Dero Waysenhauß in Potsdam“, so bezeichnete er seine Stiftung, in die am 1. November 1724 zunächst 179 Jungen einzogen. Ein Jahr später kamen auch Mädchen hinzu. Erst wenige Jahre zuvor hatte der preußische König die Schulpflicht eingeführt – hier wird sie umgesetzt wie wohl an keinem Ort sonst in Preußen.

Während Friedrich Wilhelm I. seinem eigenen Sohn, dem späteren Friedrich II., mit Härte begegnete, zeigte er „seinen“ Waisenkindern gegenüber tatsächlich viel Fürsorge. Das macht etwa die Geschichte um das Waisenkind Joachim Hitzwedel deutlich. Überliefert ist, dass der König sein Waisenhaus so häufig besuchte, dass sein Erscheinen fast als selbstverständlich galt. Dabei interessierte er sich für die Lernerfolge der Kinder – und lernte sie auch persönlich kennen. Der junge Hitzwedel gefiel dem Soldatenkönig so gut, dass er seine Lernerfolge kontrollierte und ihm später ein Studium der Theologie an der Universität in Halle ermöglichte.

Das Foto zeigt den Innenhof des Potsdamer Großen Waisenhauses, um 1930
Innenhof des Potsdamer Großen Waisenhauses, um 1930.
© Stiftung Großes Waisenhaus zu Potsdam Archiv

Knapp 50 Jahre später ließ sein Sohn Friedrich II. das Waisenhaus komplett neu gestalten. Direkt an der Prachtmeile des barocken Potsdams baute der königliche Architekt Carl von Gontard von 1771 bis 1777 das vierseitige Anwesen zu einem spätbarocken Repräsentativbau um. Als Krönung setzte er – als Symbol für die Nächstenliebe – eine Kuppel und eine goldene Caritas obenauf und prägte damit das Stadtbild.

Die Zustände im Inneren entsprachen dem äußeren Erscheinungsbild kaum. Zu Zeiten des Siebenjährigen Krieges lebten bis zu 1.500 Kinder im Potsdamer Waisenhaus und mussten hart für ihre Unterbringung arbeiten. Die umfangreiche Schulbildung aus Gründungszeiten fuhr der Regent zurück, stattdessen lieh er die Kinder in umliegende Manufakturen aus. Sie arbeiteten unter anderem als Drahtzieher, in der Gewehrfabrik und in Tuchmanufakturen.

Reformpädagogik versus Militär

Pädagogische und organisatorische Reformen setzten dem um 1800 ein Ende. Die nächste Krise ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Aufgrund des Krieges gegen Napoleon stand die Stiftung Anfang des 19. Jahrhunderts fast vor dem Ruin, den Kindern fehlte es am Nötigsten. Der militärische Erziehungsstil gewann die Oberhand. Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnete eine Militärschule zur Sicherung des Unteroffiziersnachwuchses. Echte reformpädagogische Ansätze setzten sich dagegen in der Weimarer Republik durch.

Das Bild zeigt Kinder im Speisesaal des Waisenhauses, um 1928.
Blick in den Speisesaal des Waisenhauses, um 1928.
© Stiftung Großes Waisenhaus zu Potsdam Archiv

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war es damit wieder vorbei. Erst als Nationalpolitische Erziehungsanstalt – die „Napola“ –, dann ab 1938 als Militärwaisenhaus für die Wehrmacht bereitete das Regime vor allem Jungen systematisch auf den Krieg vor. Die zunehmenden Kriegsgefahren führten dazu, dass die Kinder das Waisenhaus gegen Kriegsende verlassen mussten. Als Potsdam in Schutt und Asche gekämpft wurde, blieben vom Potsdamer Waisenhaus fast nur Ruinen. Kinder hingegen kamen nicht zu Schaden.

1952 widerrechtlich aufgelöst

Nach 1945 arbeitete die Stiftung zunächst unter eingeschränkten Bedingungen weiter. Doch Anfang 1952 wurde sie widerrechtlich aufgelöst und um ihr Vermögen gebracht. Kinderheime führte die DDR in Eigenregie und mit einem auf die SED-Politik abgestimmten Erziehungsstil. Eine Stiftung, die sich autonom um Kinder kümmerte, war im System ebenso wenig vorgesehen wie privatwirtschaftliche Betriebe. Die staatlichen Heimeinrichtungen, darunter Jugendwerkhöfe und „Spezialheime“, dienten dazu, „allseits gebildete sozialistische Persönlichkeiten“ zu erziehen.

Fast genau 40 Jahre später – im Dezember 1992 – erklärte die Brandenburger Landesregierung die Auflösung mit „Wirkung für die Vergangenheit“ als aufgehoben. Damit sicherte das Kabinett die Fortexistenz dieser Stiftung, die als eine der ältesten und mildtätigsten in Brandenburg gilt.

Die Rückführung des einstigen Vermögens erfolgte allerdings nicht reibungslos. Gespräche mit verschiedenen Behörden waren notwendig, etwa, um die Stiftungsimmobilie in der Potsdamer Innenstadt zurückzuerhalten. „Die Gesprächsergebnisse waren zunächst niederschmetternd. Der Bearbeiter im Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen ließ keinen Zweifel daran, dass die Stiftung als Rechtsnachfolge nicht legitimiert sei“, erinnert sich Andreas Hilliger, Mitglied des damaligen Aufbauvorstandes. „Als wir Dokumente vorlegten, erklärte das Amt plötzlich, für eine Entscheidung nicht zuständig zu sein, und gab das Verfahren an die Treuhandanstalt ab.“

Marode Gebäude nach der Wende

Nach mehreren Anläufen entschied die Treuhandanstalt schließlich zugunsten der Stiftung – sie übergab das Gebäude „in einem fürchterlichen baulichen und technischen Zustand“, so Hilliger. 1992 konstituierte sich zunächst ein Aufbauvorstand, der die Arbeitsfähigkeit der Stiftung herstellte. Die Landesregierung übertrug der Stiftung mehrere ehemalige DDR-Spezial- und Sonderheime, die seit der Wende in Trägerschaft des Landes Brandenburg waren – ebenfalls oft in verheerenden baulichen Zuständen. Ab 1995 folgte ein fünfköpfiger Stiftungsrat als Vorstandsgremium, der sich bis heute aus Verantwortlichen aus Brandenburger Ministerien und der Staatskanzlei zusammensetzt.

Die Anlaufkosten für Personal- und Sachausgaben übernahm das Bildungsministerium. Aus Stiftungsmitteln und Krediten flossen acht Millionen Euro in die Sanierung des Gebäudes. Im Jahr 2004 gelang es schließlich durch eine Spendeninitiative, die zerstörte Dachkuppel samt Caritas wieder zu errichten. Seitdem steht das Ensemble, das heute an verschiedene Ministerien und Non-Profit-Organisationen vermietet ist, in altem Glanz. Aber auch eine Tagespflege für Kinder und eine Clearingstelle sind hier untergebracht.   

Alter Glanz, neue Ausrichtung

Das größte Barockensemble Potsdams erstrahlt heute in altem Glanz.
© Thomas Hagenbucher, designunit

Heute unterstützt die Stiftung Großes Waisenhaus zu Potsdam benachteiligte Kinder im Land Brandenburg. Um ihren Stiftungszweck zu erfüllen, gründete die Stiftung die gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung Brandenburger Kinder und Jugendlicher (GFB). Seit 1993 entwickelte sich die GFB zu einem der größten freien brandenburgischen Träger in der Kinder- und Jugendhilfe. Sie versorgt Kinder an verschiedenen Orten im Land Brandenburg, überwiegend in Stiftungsimmobilien. Seit 1994 ist die Stiftung finanziell eigenständig. Einnahmen erzielt sie aus Vermietung und Verpachtung

Zur Person

Diskussion ( 1 )


Ein schöner Artikel über eine Stiftung mit einer spannenden, wechselhaften Historie. Wir wohnen übrigens schräg gegenüber. :-)

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