• Dossier Nachhaltigkeit

Gegründet, um nachhaltig zu wirken

Zusammen mit Sozialunternehmen arbeitet die Siemens Stiftung in Entwicklungs- und Schwellenländern daran, Versorgungsdefizite abzubauen und Strukturen zu schaffen, die nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen und ökonomische Perspektiven eröffnen. In Kenia hat sie nun erstmals ein eigenes Sozialunternehmen gegründet. Ein Erfahrungsbericht

Solarbetriebene Fischerlaterne
Nachhaltige Energielösung: Solarbetriebene Fischerlaternen helfen beim Nachtfischen.
© Siemens Stiftung, Fotograf: Anthony Onyango
5 Minuten 13.09.2022
Autorin: Dr. Nina Smidt

Stellen Sie sich vor, Sie würden am Tag etwa 150 kenianische Schilling verdienen, umgerechnet rund 1,27 Euro. Und Sie müssten 100 Schilling, umgerechnet 84 Cent, jeden Tag allein für sauberes Trinkwasser bezahlen. Würden Sie Ihr weniges Geld in Trinkwasser investieren? Viele Frauen, die rund um den Victoriasee im Nordwesten Kenias leben, befinden sich in genau dieser prekären Lage. Sie haben kaum Erwerbsmöglichkeiten und müssen ihre Kinder oft allein ernähren, ohne ein zweites Einkommen im Haushalt. Da sie sich sauberes Trinkwasser schlichtweg nicht leisten können, geben sie ihren Kindern See- oder Flusswasser zu trinken, das durch die örtliche Landwirtschaft verunreinigt ist. Die Kindersterblichkeit in der Region liegt bei 14 Prozent, verursacht durch Diarrhoe, Cholera, Typhus.

Wirtschaftliche Eigenständigkeit als Ziel 

In der Entwicklungskooperation arbeiten wir als Siemens Stiftung stets mit dem Ziel, Menschen auf ihrem Weg zu organisatorischer Weiterentwicklung, Wachstum und wirtschaftlicher Eigenständigkeit zu begleiten. Wie aber kann das am besten gelingen, wenn die Herausforderungen vor Ort wirtschaftliche, gesellschaftliche und gesundheitliche Komponenten haben? Und wie kann dies nachhaltig geschehen, also ohne in die Abhängigkeit von Fördergeldern gemeinnütziger Stiftungen zu geraten? Gerade in Afrika lautet eine der effektivsten und dynamischsten Antworten: durch die Gründung von Sozialunternehmen.

Sozialunternehmen sind in ihrer Form, Ausführung und Finanzierung sehr unterschiedlich. Sie eint jedoch der Fokus auf drei Wirkungsfelder: Planet – People – Sustainability. In anderen Worten: Der Schutz und die nachhaltige Entwicklung unseres Planeten sind ihr Ziel, mit Mitteln und auf Wegen, die auch die Gesellschaften vor Ort positiv beeinflussen. Und mit einem Geschäftsmodell, das nachhaltig und letztlich selbstfinanzierend für die Menschen vor Ort sein soll. Konkret heißt das: Sie versuchen, mit innovativen Lösungen für soziale oder ökologische Probleme auf lokaler, nationaler oder globaler Ebene Wirkung zu erzielen, und zwar meist, indem der gesellschaftliche Nutzen maximiert wird, nicht der eigene finanzielle Vorteil oder Gewinn. 

Werkstatt für Elektro-Motorräder
Nachhaltige Mobilitätslösung: Werkstatt für Elektro-Motorräder
© Siemens Stiftung, Fotograf: Anthony Onyango

In den meisten unserer Kooperationen unterstützen wir als Stiftung finanziell, fördern den Austausch von Knowhow und koordinieren die Zusammenarbeit mit unseren weltweit bestehenden Netzwerken in Bildung, Wissenschaft und Technik. In Afrika fördern wir auch Sozialunternehmen auf diese Weise: In Kenia beispielsweise unterstützen wir das Müllentsorgungsunternehmen TakaTaka Solutions, das von dem Deutschen Daniel Pfaffenholz 2011 in Nairobi gegründet wurde. Täglich recyclen 350 Angestellte – fast zur Hälfte Frauen – 70 Tonnen Müll, der von 1.000 selbständigen Müllsammler*innen in der kenianischen Hauptstadt angeliefert wird. Deren Kinder werden im firmeneigenen Kindergarten betreut, Pfaffenholz subventioniert zudem die Schulgebühren, sobald sie auf eine Schule wechseln. 

Pilotprojekt WeTu

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt die Siemens Stiftung mit dem Sozialunternehmen WeTu in Kenia. Es ist in Gegenden aktiv, in denen es an bezahlbarem Trinkwasser und guten Erwerbsmöglichkeiten mangelt, wovon Frauen vor Ort häufig stärker betroffen sind. WeTu bedeutet auf Swahili „unseres“ und bietet nachhaltige Trinkwasser-, Energie- und Mobilitätslösungen an verschiedenen Standorten im Westen des Landes: von günstigem Trinkwasser über mit Solarbatterien betriebenen Fischerlaternen zum Anlocken des Fangs beim Nachtfischen bis hin zu Elektro-Motorrädern, Elektroschrott-Recycling sowie Eis zur Kühlung von Nahrungsmitteln. 

WeTu baut in Homa Bay nun den dreizehnten Energie-Kiosk auf – einen von insgesamt 19 WeTu-Hubs, die um den Viktoriasee bis 2023 entstehen sollen. 6.000 Liter Trinkwasser sollen allein in Homa Bay täglich ausgegeben werden, zu überaus günstigen Preisen: Geplant ist, dass 20 Liter Trinkwasser zehn kenianische Schilling kosten. Aktuell zählt das Unternehmen bereits über 40 Mitarbeiter*innen. 

Durch WeTu haben wir außerdem bereits rund 80 direkte Arbeitsplätze geschaffen, unter anderem mit Security-Firmen als Partner. Des Weiteren sind Fortbildungen im Bereich E-Mobilitätsmechaniker*innen geplant, um Personen aus dem informellen Sektor, wie Motorradmechaniker, auf die veränderten Anforderungen von e-Transport vorzubereiten und Wertschöpfungsketten in West-Kenia aufzubauen und zu etablieren.

Drei Geschäftsbereiche

Die drei Geschäftsbereiche WeWater, WePower und WeMobility wurden im letzten Geschäftsjahr auf- und ausgebaut: Seit Gründung konnten so im Geschäftsbereich WeWater bereits rund sieben Millionen Liter Trinkwasser verkauft werden. Mittlerweile versorgt WeTu rund 12.000 Menschen täglich mit Trinkwasser. Sie können das Wasser an Zapfstellen abholen, die rund um die Uhr geöffnet sind, oder es sich liefern lassen. 

WeTu ist als lokaler Implementierungspartner in Kenia zudem Teil des SESA Projektes unter dem European Green Deal Programm der Europäischen Kommission. SESA steht für Smart Energy Solutions for Africa. Das Konsortium aus 30 internationalen Partnern fördert Innovationen für eine nachhaltige Energieversorgung in Afrika. 

Für uns als Siemens Stiftung ist WeTu ein Pilotprojekt: Erstmals gehen wir als deutsche Stiftung in die Rolle der aktiven Gesellschafterin eines Sozialunternehmens und tragen auch ein unternehmerisches Risiko. Die Projektleitung und der Aufbau von WeTu werden seitens der Siemens Stiftung von Tilmann Straub gemanagt und vom Bereich Finance der Siemens Stiftung sowie von einem lokalen Team unterstützt. 

Unternehmensziele von WeTu sind neben der Verwendung regenerativer Energien die Schaffung von Arbeitsplätzen samt Krankenversicherungsschutz und Weiterbildungsmöglichkeiten. Ein besonderer Fokus liegt auf „female empowerment“, mit dem Ziel, Frauen neue berufliche, wirtschaftliche und damit gesellschaftliche Chancen zu eröffnen.  

Zusammenarbeit mit lokalen Stakeholdern

Um diese soziale Wirkung zu erzielen, arbeiten wir mit unterschiedlichen lokalen Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen: von der Dorfvorsteherin, welche die Wasserpreise mitgestaltet hat, weil sie am besten weiß, wie viel Geld die Frauen im Ort für Trinkwasser ausgeben können, bis zu nationalen Regierungsvertreterinnen und -vertretern, die sich für E-Mobility-Lösungen für die städtischen Busse von Nairobi interessieren. Wir als Stiftung teilen unsere Erfahrungen in dem Bereich auch mit anderen Stiftungen, die ähnliche Pläne haben, beispielsweise im Senegal.

Dorfvorsteherin, Elizabeth Atieno
Dorfvorsteherin Elizabeth Atieno kennt die Verhältnisse vor Ort und hat die Wasserpreise bei WeTu mitgestaltet.
© Siemens Stiftung 

Langfristiges Ziel ist es, das operative Geschäft von WeTu sowie Wartung und Instandhaltung der technischen Anlagen nachhaltig aus den Einkünften finanzieren zu können. Anschließend sollen alle Positionen des Unternehmens, die bisher noch von uns verantwortet werden, in lokale Hände übergeben werden. 

Auf unserem Weg bestärkt haben uns die Ergebnisse und Prognosen der Studie „Social Enterprises as Job Creators in Africa“, die 2020 von der Siemens Stiftung erhoben und von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) finanziert wurde: Sie prognostiziert, dass Sozialunternehmen in zwölf afrikanischen Ländern in den nächsten zehn Jahren 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze schaffen könnten, von 4,32 Millionen im Jahr 2020 auf 5,33 Millionen im Jahr 2030. 

Herausforderungen und Erfolgsgeschichten

Natürlich gibt es Herausforderungen. Der Weg zum nachhaltigen, selbstfinanzierenden Geschäftsmodell und Unternehmen ist für ein Sozialunternehmen wie WeTu lang. Auch der Frauenanteil im Unternehmen liegt noch unterhalb der gesetzten Ziele. Viele Frauen hatten bisher schlichtweg nicht die Möglichkeit, sich für eine der vorhandenen Positionen ausbilden zu lassen.

Umso mehr freuen wir uns über individuelle Erfolgsgeschichten dieses Social Ventures: Da ist beispielsweise Julia Akinyi, die als Kind jeden Tag nach der Schule mit einem Kanister fünf Kilometer zur nächsten sauberen Wasserquelle laufen musste, während ihre alleinerziehende Mutter auf dem Feld arbeitete, um ihre vier Kinder durchzubringen. 

Julia Akinyi, Finanz- und Personalmanagerin bei WeTu
Julia Akinyi hat es aus eigener Kraft zur Finanz- und Personalmanagerin bei WeTu geschafft.
© Siemens Stiftung 

Seit 2019 ist Akinyi Finanz- und Personalmanagerin bei WeTu. Aus eigener Kraft und mit der Unterstützung ihrer Mutter hat sie ein vollständiges MBA-Studium finanziert und absolviert und die staatliche Zulassung als Certified Public Accountant of Kenya erreicht. Nun unterstützt WeTu ihre weitere Ausbildung und Spezialisierung finanziell. Wir arbeiten daran, in den kommenden Jahren noch viele Geschichten wie die von Julia Akinyi erzählen zu können. 

Über WeTu

WeTu ist ein kenianisches Sozialunternehmen, das 2019 von der Siemens Stiftung gegründet wurde.  Entlang des Viktoriasees bietet es an dreizehn solarbetriebenen Hubs Produkte und  Dienstleistungen in den Bereichen Mobilität, Wasser und Energieversorgung an. Dazu zählen unter anderem Solarlaternen für das Nachtfischen, sauberes Trinkwasser und der Verleih von elektrischen Motorrädern. WeTu schafft dadurch lokale Arbeitsplätze, verbessert die Gesundheit vor Ort und  trägt zum Umweltschutz des größten Sees Afrikas bei.
https://wetu.co.ke

Über die Siemens Stiftung:

Die gemeinnützige Siemens Stiftung setzt sich für nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung ein. Eine gesicherte Grundversorgung, hochwertige Bildung und Verständigung über Kultur sind dafür Voraussetzung. In ihrer internationalen Projektarbeit unterstützt die Siemens Stiftung deshalb Menschen darin, diesen Herausforderungen eigeninitiativ und verantwortungsvoll zu begegnen. Hierfür entwickelt sie mit Partnerinnen und Partnern Lösungsansätze und Programme und setzt diese in enger Zusammenarbeit um. Eine zentrale Rolle spielen dabei technologische und soziale Innovationen. Transparenz und Wirkungsorientierung bilden die Basis des Handelns. Den geografischen Fokus ihrer Arbeit legt die Siemens Stiftung auf Regionen in Afrika, Lateinamerika und Europa.
www.siemens-stiftung.org

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