• Stiften in Ostdeutschland

Im Osten was Neues

Jetzt erst recht: Nur 7,2 Prozent der Stiftungen haben ihren Sitz in den fünf ostdeutschen Bundesländern.  Doch das hält sie nicht davon ab, so einiges in Bewegung zu setzen – im Gegenteil.

Die Cellex Stiftung in Dresden will den fremdenfeindlichen Tendenzen vor Ort etwas entgegegensetzen – unter anderem mit dem von ihr initiierten Gastmahl „Dresden is(s)t bunt“, bei dem am 5. September 2022 Menschen unterschiedlicher Herkünfte zusammenkamen, um an 240 Tischen auf der Augustusbrücke und dem Schlossplatz der sächsischen Hauptstadt gemeinsam zu trinken und zu essen.
© Anja Schneider
6 Minuten 27.01.2023

Schon 2009 fragte eine Ausgabe der „Stiftungswelt“: „Im Osten was Neues?“ Und kam mit Blick auf die Unterschiede zwischen dem ost- und dem westdeutschen Stiftungssektor zu einer ernüchternden Zwischenbilanz: 20 Jahre nach dem Mauerfall war das Gefälle immer noch groß, das ostdeutsche Stiftungswachstum auf Sparflamme. Hat sich daran seitdem etwas geändert? Immerhin liegt die Wiedervereinigung nunmehr 32 Jahre zurück. 

Leider muss man konstatieren, dass auch heute nur 7,2 Prozent aller rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts ihren Sitz im Osten haben. Das Land Berlin wird aus dieser Statistik, die sich unter anderem aus der Stiftungsdatenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen speist, aufgrund der früheren Zweiteilung der Stadt ausgeklammert. Wir sprechen also auch im Folgenden von den ostdeutschen Flächenländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.

Nun könnte man einwenden, dass im Osten sehr viel weniger Menschen leben. Doch auch bevölkerungsbereinigt ist der Unterschied deutlich: In westdeutschen Bundesländern ist die Stiftungsdichte mehr als doppelt so hoch wie in Ostdeutschland. Und während der Stiftungsbestand in den westdeutschen Bundesländern seit Jahren erkennbar zunimmt, fällt auch das Wachstum im Osten sehr viel geringer aus. 

In der DDR nicht erwünscht

Von den 30 kapitalstärksten Stiftungen privaten Rechts, deren Finanzdaten dem Bundesverband vorliegen, sitzt nur eine in Ostdeutschland und auch das nur formal: Die Carl-Zeiss-Stiftung hat einen Rechtssitz in Jena und einen Verwaltungssitz in Stuttgart. 1889 in Jena gegründet, wurden die stiftungseigenen Betriebe im DDR-Regime enteignet, ein neuer Stiftungssitz entstand in Baden-Württemberg, gleichzeitig blieb einer in Jena bestehen.

„Der Osten stiftet mehr von unten, demokratischer.“

Sebastian Kriedel
Vorsitzender des Landesnetzes der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern

1990 wurden beide Stiftungen und Stiftungsunternehmen wieder zusammengeführt. Trotz ihrer wechselvollen Geschichte zählt die Carl-Zeiss-Stiftung damit noch zu den glücklicheren ostdeutschen Stiftungen. Da in der DDR Stiftungen als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements nicht erwünscht waren, wurden bis 1956 rund 90 Prozent (!) aller bestehenden Stiftungen im Osten aufgelöst. Im Zivilgesetzbuch von 1976 waren Gründungen neuer Stiftungen nicht mehr vorgesehen.   

Das alles habe auch Auswirkungen auf gesellschaftliche Einstellungen gehabt, sagt Sebastian Kriedel. Der Vorsitzende des Landesnetzes der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern sieht in der ostdeutschen Bevölkerung immer noch gewisse Vorbehalte gegenüber dem Stiftungsmodell und schätzt, dass die Angleichung an den westdeutschen Stiftungssektor erst in zehn bis 20 Jahren erfolgt sein wird.

Aber auch der Westen könne sich ein paar Dinge vom Osten abschauen. „Die Stärke der ostdeutschen Stiftungen beruht weniger auf ihrem Stiftungskapital im monetären Sinne als vielmehr auf dem Know-how der in der Stiftung Engagierten.“ Als Beispiel nennt er das Krippenmuseum Güstrow, für das eine Stifterin zahlreiche Krippen aus aller Welt zusammengetragen hat. Die Führungen durch die immer wechselnde Ausstellung hingegen werden ausschließlich von Freiwilligen durchgeführt. „Man könnte sagen, der Osten stiftet anders, mehr von unten, demokratischer”, fasst Kriedel zusammen.  

Wenig Geld, viel Kreativität

Angelika Kell (rechts) mit ihrem Bauchladen, der die stiftungseigene Gewürzmischung bereithält.
© Privat

Auch die Stiftung Bürger für Leipzig, eine Bürgerstiftung, besitzt nach fast 20 Jahren immer noch weit unter einer halben Million Euro Stiftungskapital. Das Einsammeln von Spenden gehört somit seit jeher zu ihren Kernaufgaben. „Kreativität kann man sicher von uns lernen. Wir müssen sehr viel mehr trommeln, um Unterstützung für unsere Projekte zu gewinnen”, sagt Vorstandsvorsitzende Angelika Kell. Dafür greift sie durchaus auch mal selbst zu ihrem Bauchladen, um die stiftungseigene Gewürzmischung unter die Leute zu bringen.

Ein eigener Webshop sowie viel Präsenz in den Medien und im öffentlichen Raum zahlen ebenso im wahrsten Sinne des Wortes auf das Konto der Stiftung ein. Zu den kreativsten Aktionen zählen wohl die virtuellen Traumreisen auf Spendenbasis, die die Stiftung anbietet. Als wäre man tatsächlich auf Reisen, erhalten die Spenderinnen und Spender täglich per E-Mail Texte, Bilder und weiterführende Links zu einer Reiseroute, die wahlweise etwa in den Oman, in die griechisch-römische Unterwelt oder in das eigene Innere führt. 

In der sogenannten Biebelrieder Erklärung vom Mai 1990 sprachen sich die Vorstände der beteiligten Unternehmen für den Zusammenschluss aller Unternehmen in einer Carl-Zeiss-Stiftung aus. Damit ist der Grundstein für die Wiedervereinigung der beiden Stiftungen in Thüringen und Baden-Württemberg gelegt.
© Carl-Zeiss-Stiftung

Weniger finanzielle Sorgen hat die bereits oben genannte Carl-Zeiss-Stiftung mit einem Eigenkapital von 943,9 Millionen Euro. Zwar sei die Zusammenführung von Stiftungen und Stiftungsbetrieben „kein Selbstläufer“ gewesen, wie Geschäftsführer Felix Streiter sagt. Inzwischen seien die Ost-West-Befindlichkeiten aber überwunden, ganz bewusst habe man heute keine spezifischen Ost- oder West-Programme.

Gemäß ihrem Statut fördert die Stiftung Forschung in den Natur- und Technikwissenschaften in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Thüringen, speziell an den dortigen Universitäten und Hochschulen. Streiter, der selbst aus Nordrhein-Westfalen stammt, setzt sich dabei insbesondere für die Stärkung des Forschungsstandorts Jena ein. „Jena hat enormes Potential und wird oft unterschätzt. Es gibt dort die meisten erfolgreichen Start-ups im Osten!”

Gesamtwirtschaftlich sieht es im Osten jedoch anders aus. Der ökonomische Rückstand, der unter anderem darin begründet ist, dass es zu DDR-Zeiten kaum die Möglichkeit gab, privates Vermögen aufzubauen, ist mit ein Grund, weshalb die Anzahl an Stiftungen in den ostdeutschen Bundesländern niedriger ist als im Westen. Den mittelständischen Unternehmer, der der Gesellschaft etwas zurückgeben will, gibt es im Osten eher selten. Umgekehrt entscheidet sich manche Stiftung, sich auch in den ostdeutschen Bundesländern zu engagieren.

Pionierarbeit in der Provinz

Die Wolfgang und Regina Böllhoff Stiftung etwa eröffnete 2018 als ursprünglich westdeutsche Stiftung einen Programm-Standort im brandenburgischen Finsterwalde. In dem 20.000-Einwohner-Ort besaß die Böllhoff Gruppe, ein Unternehmen für Verbindungstechnik, bereits eine Produktionsstätte, der frühere Betriebsleiter Roland Porepp verantwortet nun im Ruhestand das dortige Patenschaftsprogramm „Ich will!“. Mit ihm unterstützt die Stiftung Schüler der 8. bis 10. Jahrgangsstufte beim Schulabschluss und beim Einstieg ins Berufsleben. Neben einem Förderprogramm gehören auch individuelle Patenschaften zum Programm. Die Patinnen und Paten sollen vor allem ein Vertrauensverhältnis zu den Schülerinnen und Schülern aufbauen und dadurch deren Persönlichkeitsentwicklung fördern.

Hand anlegen in der Bäckerei Bubner: Mit Betriebsbesuchen unterstützt das Patenschaftsprogramm "Ich will!" Jugendliche aus Finsterwalde bei der Berufsfindung.
© Roland Porepp

Obwohl Porepp aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer an zahlreiche Kontakte anknüpfen kann, fällt es ihm in seinem neuen Amt schwer, ausreichend ehrenamtliche Paten für das Programm zu gewinnen. „Alle, mit denen man spricht, finden das, was wir machen, super. Aber die Bereitschaft, dafür auch selbst etwas zu tun, das ist dann schon schwieriger“, erzählt er.

Auch die weiten Wege in der Flächenregion sind für ihn eine Herausforderung. „Vorletzte Woche sind wir mit den Schülern ins Theater Senftenberg gegangen. Da bin ich selber 120 Kilometer gefahren, um zwei Schüler daran teilhaben zu lassen.” Die Vorstandsvorsitzende Anja Böllhoff berichtet von neuen Erfahrungen beim Aufbau des Programms in Finsterwalde: „Das Modell der Patenschaft war gänzlich unbekannt, von daher war das in dieser Region schon ein bisschen Pionierarbeit, was wir hier geleistet haben.” 

Nicht immer zu Ende gedacht

Essen verbindet: Das hat auch die Cellex Stiftung in Dresden erkannt und gemeinsam mit anderen Organisationen die Menschen der Stadt im September 2005 zum öffentlichen Gastmahl „Dresden is()st bunt“ geladen.
© Anja Schneider

Eine weitere Stiftung, die ihren Standort 2015 ganz bewusst im Osten Deutschlands gewählt hat, ist die Cellex Stiftung in Dresden. Vorständin Eva Sturm berichtet, man habe „den fremdenfeindlichen und antidemokratischen Tendenzen vor Ort etwas entgegensetzen” wollen, auch heute noch lägen die Hauptaufgaben der Stiftung darin, demokratisches Engagement und den Zusammenhalt zu stärken. In den sozialen Medien gab es dafür schon häufig Gegenwind von rechter Seite, auf Veranstaltungen sei neben kleineren Provokationen „aber noch nie etwas Eklatantes passiert”, so Sturm. Allerdings müsse man hin und wieder auf erhöhten Polizeischutz zurückgreifen. 

Daneben setzt sich die Cellex Stiftung mit dem Zukunftslabor Ost, das sie gemeinsam mit der Freudenberg Stiftung initiiert hat, auch strukturell für eine Stärkung der ostdeutschen Zivilgesellschaft ein. Zwei Phänomene bereiten Sturm dabei jedoch Sorge: „Ich sehe mitunter westdeutsche Stiftungen, die in Ostdeutschland Ideen und Konzepte von ostdeutschen Vereinen weiterführen, ohne den Verein einzubinden, dem dann vielleicht sogar noch die Mittel gekürzt werden. Oder Stiftungen, die Projekte mit ostdeutschen Vereinen umsetzen und dem Verein anschließend Mitarbeitende abwerben. Das hat nichts mit Böswilligkeit zu tun, aber Zusammenarbeit findet da nicht auf Augenhöhe statt. Es wird oftmals leider nicht zu Ende gedacht, was das für die Strukturen vor Ort bedeutet.”

Bürgerstiftungen sehr beliebt

Eine demokratische Stiftungskultur, Kreativität beim Fundraising und die Bereitschaft, allen Anfeindungen zum Trotz gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen – all das zeichnet ostdeutsche Stiftungen aus, haben sie mitunter westdeutschen Stiftungen auch voraus. Und selbst die Zahlen sprechen bei genauerem Hinsehen eine nicht mehr ganz so eindeutige Sprache. So lassen sich nicht alle Unterschiede mit den Merkmalen Ost bzw. West erklären, oftmals ist der Faktor Stadt oder Land ausschlaggebender. Die Wolfgang und Regina Böllhoff Stiftung etwa kämpft in der brandenburgischen Provinz mit ganz anderen Herausforderungen als die in der sächsischen Metropole ansässige Stiftung Bürger für Leipzig.

Und auch innerhalb der westlichen Flächenländer bestehen teils erhebliche regionale Unterschiede zum Beispiel bei der Stiftungsdichte. Ostdeutsche Städte wie Dresden, Potsdam, Eisenach oder Weimar können hier durchaus mit einzelnen Landkreisen im Westen mithalten. Bei der absoluten Stiftungszahl und den Stiftungsneuerrichtungen ist Sachsen mit 622 rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts sowie 20 Neuerrichtungen im Jahr 2021 Spitzenreiter unter den ostdeutschen Bundesländern. 

Eine beliebte Stiftungsform im Osten sind Bürgerstiftungen. Zwar gibt es mit insgesamt 36 Bürgerstiftungen, welche die „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“ erfüllen, deutlich weniger dieser besonderen Form der Gemeinschaftsstiftung als im Westen – hier sind es insgesamt 384. Aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte leben jedoch gleich viele Menschen in ihrem Einzugsgebiet, können Angebote in Anspruch nehmen und haben dieselben Möglichkeiten, sich als Stifter, Spenderinnen oder Ehrenamtliche zu beteiligen.

Laut einer Befragung der Stiftung Aktive Bürgerschaft aus dem Jahr 2019 bestätigt sich auch dort: Beim Spendeneinnehmen und Akquirieren von Freiwilligen sind ostdeutsche Bürgerstiftungen erfolgreicher als westdeutsche. Sie verfügen durchschnittlich zwar nur über halb so viel Stiftungskapital, erreichen bei der durchschnittlichen Fördersumme aber 88 Prozent des westdeutschen Niveaus. Und noch in einem weiteren Punkt sind ostdeutsche Bürgerstiftungen Vorreiter: Ihre Gremien sind jünger und weiblicher als die westdeutscher Bürgerstiftungen. 

Viele Gründe also, weshalb ostdeutsche Stiftungen selbstbewusst und optimistisch in die Zukunft blicken und in mehr als einer Hinsicht ein „Role Model“ für die westdeutsche Stiftungslandschaft sein können.

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