• Dossier Ostdeutschland

Schatzsuche mit Hindernissen

In der DDR wurden viele Stiftungen aufgelöst. Seit der Wiedervereinigung gibt es immer wieder Bemühungen, diese sogenannten Altstiftungen aufzufinden. Doch aufwändige Nachforschungen erschweren ihre Reaktivierung.

Liste der 1947 vorhandenen Stiftungen in Sachsen-Anhalt
Liste der 1947 vorhandenen Stiftungen in Sachsen-Anhalt
© Landesarchiv Sachsen-Anhalt
5 Minuten 02.01.2023
Autorin: Beate Wild

Mit den Altstiftungen im Osten Deutschlands ist es wie bei der Suche nach einem versteckten Schatz: Je tiefer man gräbt, desto mehr findet man. Das Bundesland Sachsen-Anhalt hat bei der Suche nach Stiftungen, die das DDR-Regime überlebt haben, besonders intensiv nachgeforscht – und deshalb auch mehr als jedes andere ostdeutsche Bundesland entdeckt. Die 1991 in Sachsen-Anhalt neu errichteten Stiftungsbehörden mit Sitz in Halle, Dessau und Magdeburg und das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, das im Jahr 2004 aus der Zusammenlegung der drei Regierungspräsidien entstand, haben bis heute 108 Altstiftungen revitalisiert – und liegen damit weit vor den anderen Ost-Ländern.

Mit detektivischer Akribie

„Ich sage immer, ich bin die Miss Marple der Altstiftungen“, sagt Silvia Trautmann und lacht. Trautmann ist seit 25 Jahren bei der Landesstiftungsbehörde, zunächst im Regierungspräsidium Dessau, später im Landesverwaltungsamt mit Sitz in Halle, beschäftigt. Im Team mit dem Historiker Lutz Miehe und Referatsleiter Angelo Winkler, die beide bis zu ihrem Ruhestand im Ministerium für Inneres und Sport für Stiftungen zuständig waren, spürte sie mit detektivischer Akribie alte Stiftungen auf und hauchte ihnen neues Leben ein.

Eine Erfolgsgeschichte, die ohne das enorme Engagement des Trios nicht möglich gewesen wäre. Spricht man heute mit Trautmann, Miehe und Winkler, stellt man sofort fest: Die Sache mit der Reaktivierung war weit mehr als Pflichterfüllung, die drei hatten auch viel Freude an dieser Aufgabe. Heute ist von den Dreien nur noch Trautmann im Dienst, fünf Jahre fehlen noch bis zu ihrer Pensionierung. Wie es danach mit dem Projekt Altstiftungen in Sachsen-Anhalt weitergeht, weiß keiner so genau.

Viele Karteileichen nach 1945

Um zu verstehen, was mit den Stiftungen während des DDR-Regimes passiert ist, muss man zurück in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gehen. Beim Landesarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg waren zum Stichtag 1. Oktober 1947 insgesamt 1.788 Stiftungen erfasst. „Zum Ende des Krieges existierten viele Stiftungen nur noch als Karteileichen – im Osten wie im Westen“, sagt Historiker Miehe. „Auch die Währungsreform machte den Stiftungen in Ost und West zu schaffen.“

Zunächst habe es nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) noch keine übergreifende stiftungsfeindliche Haltung gegeben. Insbesondere in Sachsen-Anhalt, wo mit Erhard Hübener im Unterschied zu den anderen Ländern der SBZ ein Liberaldemokrat Ministerpräsident war, wurde eine Politik betrieben, die auf eine Wiederbelebung der einst blühenden Stiftungslandschaft gerichtet war.

„Ich bin die Miss Marple der Altstiftungen.“

Silvia Trautmann
Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt

Ab 1952 änderte sich das. Durch Gesetz wurde die DDR in 15 Bezirke untergliedert und damit die Ost-Bundesländer de facto aufgelöst. Die Politik der DDR wurde nun in der Hauptstadt Ost-Berlin zentralisiert. Ab diesem Zeitpunkt wurden viele, vor allem kleine Stiftungen zusammengelegt oder aufgelöst. Manchmal sicherlich aus dem Grund, weil zivilgesellschaftliches Engagement in der DDR verpönt war. Oftmals aber schlicht und einfach auch deshalb, weil kleine Stiftungen wirtschaftlich nicht überlebensfähig waren. „Früher war ich empört, dass Stiftungen aufgelöst worden waren. Später verstand ich dann, dass es häufig gute Gründe dafür gab“, erklärt Trautmann die diffuse Gemengelage.  

Auflösungswelle ab 1953

„Weil Ost-Berlin jedoch zunächst keine Übersicht über die Stiftungen in der DDR hatte, startete das Innenministerium im Herbst 1952 einen Aufruf, dass sich Stiftungen bei den neu eingerichteten Bezirksverwaltungen melden sollten. Nicht alle kamen diesem Aufruf nach – und oftmals überlebten genau diese Stiftungen bis 1990“, sagt Miehe.

Auch Kirchenstiftungen überstanden die 1953 einsetzende Auflösungswelle, weil die SED keinen offenen Konflikt mit der Kirche wollte. Mitunter entgingen auch solche Stiftungen der Auflösungspolitik, die sich als kirchliche Stiftungen ausgaben, obwohl sie keine klassischen Kirchenstiftungen waren.

Zudem zeigte sich nach 1990, dass nicht alle Stiftungen durch die DDR-Behörden formal aufgelöst worden waren und sie daher rechtlich nur ruhten. Vor allem die Stiftungen, die über Grundbesitz verfügten, hatten die Diktatur überstanden.

Zufallsfunde im Grundbuch

„In zahlreichen Fällen sind wir auf eine Altstiftung gestoßen, wenn etwa jemand wegen des Baus einer Wasserleitung oder eines Internetkabels das Grundbuch einsehen musste. Da kam es dann vor, dass eine Stiftung als Eigentümerin eingetragen war, obwohl man von der Stiftung gar nichts mehr wusste und der letzte Grundbucheintrag etwa von 1934 war“, erzählt Trautmann. In solchen Fällen wurde dann die Stiftungsbehörde kontaktiert, um herauszufinden, ob die Stiftung noch existiert und wer Vertretungsberechtigter ist.

Ein anderer Klassiker, der zur Reaktivierung von Altstiftungen führen konnte: Erben stießen auf Stiftungsnamen oder die Erblasser waren selbst in Stiftungsorganen tätig gewesen. „Aber es gab auch solche Fälle, dass Erbbaupächter und deren Nachkommen an uns herangetreten sind, um abgelaufene Erbbaurechte zu verlängern oder aufzukündigen“, sagt Trautmann.

„Die Zahlen gehen zurück, je mehr Zeit ins Land geht.“ 

Angelo Winkler
Referatsleiter i. R., Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt
Ehemaliges Präbendatengebäude des Augustinerklosters mit Lutherstube.
Ehemaliges Präbendatengebäude des Augustinerklosters mit Lutherstube. Im Jahr 1525 hatten die Augustiner das Kloster an die Altstadt Magdeburg übergeben mit der Auflage, es in ein Hospital umzuwandeln - einer der wichtigsten Stiftungsakte in der Magdeburger Stadtgeschichte.
© Aus: Bock, Adolph: Das Armenwesen, die milden Stiftungen und sonstigen Wohlthätigkeitsanstalten zu Magdeburg, Magdeburg 1860 (Beilage).

Zuletzt hatte sie den Fall, dass im Zuge des Ausbaus des Grünen Bandes, wie das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt auf dem Gelände zwischen der ehemaligen innerdeutschen Grenze und den damaligen Grenzanlagen auf östlicher Seite genannt wird, im Grundbuch ebenfalls eine Stiftung gefunden wurde. Das Grundstück konnte bisher nicht von der Stiftung genutzt werden, daher war die Stiftung „eingeschlafen“.

„Nach meinen Recherchen wurde diese Stiftung nie aufgelöst, sodass eine Reaktivierung möglich ist, zumal auch kommunale Vertreter in den Stiftungsorganen vorhanden sind“, sagt Trautmann. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) als Initiator des Grünen Bandes sei bereit, diese Fläche gegen eine andere mit dem Eigentümer zu tauschen, erzählt sie nicht ohne Stolz. Statt des ursprünglichen Grundstücks im ehemaligen Grenzstreifen bekommt die Altstiftung also ein neues und wird demnächst in Salzwedel reaktiviert.

Kaum Kapazitäten in den nördlichen Ost-Ländern

In den anderen Ost-Bundesländern wurde der Umgang mit den Altstiftungen völlig unterschiedlich gehandhabt. „In Sachsen gibt es praktisch keine Altstiftungen, weil die nach dem Zweiten Weltkrieg im Land Sachsen noch vorhandenen Stiftungen per Gesetz in Sammelstiftungen überführt wurden“, berichtet Sabine Brosowski von der Landesstiftungsbehörde in Sachsen.

Die Sammelstiftung Dresden etwa wurde im Jahre 1948 auf der Grundlage des Gesetzes über die Zusammenlegung örtlicher Stiftungen vom 25. Februar 1948 gegründet. Von der Zusammenfassung waren 162 Einzelstiftungen betroffen, deren Jahresreinertrag weniger als 3.000 Reichsmark betrug. Zudem wurden weitere 18 Stiftungen der Sammelstiftung Dresden verwaltungsmäßig angegliedert.

In Leipzig waren es 144 Stiftungen, die in der Sammelstiftung der Stadt Leipzig gebündelt wurden. Das Vermögen befindet sich heute in der „Leipzigstiftung – Bürgerschaftliche Tradition seit 1799“. „Die Sammelstiftungen, auch die in kleineren Städten, waren 1990 also schon vorhanden und wurden mit angepassten Satzungen genehmigt beziehungsweise als rechtsfähig anerkannt“, erklärt Brosowski. „Eine echte Reaktivierung hat in Sachsen damit nicht stattgefunden.“

„Die Reaktivierung ist erinnerungspolitisch relevant.“

Kirsten Hommelhoff
Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen

Die zuständigen Ministerien in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wiederum verweisen in ihrer Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit Altstiftungen in diesen Ländern auf fehlende Kapazitäten, die eine Reaktivierung dieser Stiftungen verhinderten.  

Auch in Sachsen-Anhalt wird die Wahrscheinlichkeit, heute auf Altstiftungen zu stoßen, immer geringer. „Die Zahlen gehen zurück, je mehr Zeit ins Land geht. Erst wurden Fälle recherchiert, bei denen Akten vorhanden waren. Im Moment sind nur noch Fälle übrig, bei denen man die bloßen Namen hat“, sagt Winkler. Außerdem fehlt es auch hier an Verwaltungspersonal, um solche Recherchen zu vertiefen.

Weil diese Nachforschungen so aufwändig sind, ist auch der Prüfauftrag, den der Bundestag im Zuge der Verabschiedung der Stiftungsrechtsreform 2021 an die Bundesregierung stellte, noch offen. Er lautete: „Welche Möglichkeiten bestehen, um Altstiftungen, die während der NS-Zeit und in der ehemaligen DDR zu Unrecht aufgehoben oder aufgelöst wurden, wiederzubeleben und zu entschädigen?“

Nachfrage aus dem Bundestag

Nachdem die gesetzte Frist (1. Juli 2022) ohne Antwort verstrichen war, stellte der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Günter Krings eine Schriftliche Anfrage an das Justizministerium. In seiner Antwort schrieb der Parlamentarische Staatssekretär Benjamin Strasser: „Die Prüfung konnte innerhalb der vom Deutschen Bundestag gesetzten Frist noch nicht abgeschlossen werden, da ein erheblicher Rechercheaufwand besteht und eine umfangreiche Abfrage bei den Ländern erfolgen musste.“

 Der Bundesverband Deutscher Stiftungen, der sich des Themas bereits in den 2000er-Jahren intensiv angenommen hatte, findet das bedauerlich. „Die Reaktivierung von Altstiftungen ist erinnerungspolitisch relevant, denn durch die Auflösung einer Stiftung wurde schließlich der Ewigkeitsgedanke des Stifters zerstört“, sagt Kirsten Hommelhoff, Generalsekretärin des Bundesverbandes. Nachforschungen nach Altstiftungen dürften nicht an fehlenden Kapazitäten und rechtlichen Herausforderungen scheitern.

Dass sich die Altstiftungsproblematik per Gesetz regeln lässt, daran haben Experten wie Miehe und Winkler allerdings erhebliche Zweifel. Es herrscht nicht nur große Skepsis, Rechtsansprüche in ein Gesetz zu gießen, auch die Aktenlage gibt eine Aufklärung der alten Sachverhalte mittlerweile oft nicht mehr her.

Wie viele Altstiftungen im erfolgsverwöhnten Sachsen-Anhalt noch reaktiviert werden können, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Frau Trautmann hat noch etwa 20 Namen auf ihrem Zettel. Ihr Ziel ist es, ihn bis zur Pensionierung in fünf Jahren abzuarbeiten.

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