• Zukunft des Stiftens

„Veränderung ist absolut in Ordnung“

Generationenwechsel in Stiftungen gibt es öfter mal. Dass aber eine Mutter nach 36 Jahren in einer Stiftung den Vorstandsvorsitz an ihre Tochter abgibt, sozusagen von Frau zu Frau, ist auch im Jahr 2023 noch nicht alltäglich. Im Gespräch erzählt uns die Tochter Alexandra Heraeus, was sie künftig mit der Heraeus Bildungsstiftung vorhat, und die Mutter Beate Heraeus, wie sich der Sektor über die Jahrzehnte gewandelt hat. Und beide verraten ihre Tipps für eine reibungslose Nachfolgeregelung.

Das Doppelporträt zeigt Alexandra und Beate Heraeus.
Alexandra (links) und Beate Heraeus
© Heraeus Bildungsstiftung
6 Minuten 13.04.2023
Interview: Beate Wild

Stiftungswelt: Frau Heraeus, Sie haben den Vorstandsvorsitz gerade an Ihre Tochter Alexandra abgegeben – nach 36 Jahren im Vorstand, 15 Jahre davon als dessen Vorsitzende. Wie fühlt es sich an, die Zügel aus der Hand zu geben? 

Beate Heraeus: Ganz wunderbar. Dass meine Tochter bereit war, vor sieben Jahren in die Stiftung einzusteigen, war nicht selbstverständlich. Und für mich selbst gibt es noch so viele andere Dinge zu tun, ich freue mich auf meine neuen Aufgaben. Mir war es sehr wichtig, rechtzeitig die Nachfolge einzuleiten, und ich bin sehr glücklich, dass dies gelungen ist. 

Wie lange haben Sie die Nachfolge vorbereitet? 

Alexandra Heraeus: Den Plan dazu haben wir schon 2019 gefasst. Er sah vor, dass ich zunächst als geschäftsführende Vorständin in die Stiftung einsteige. In dieser Funktion hatte ich in den vergangenen beiden Jahren die Möglichkeit, mit dem Team zusammen an den Inhalten und Strukturen der Stiftung zu arbeiten. Der Wechsel in den Vorstandsvorsitz bedeutet für mich, dass ich jetzt wieder mehr nach außen gehe, etwa in Gespräche mit Ministerien und mit Kooperationspartnern. Mir war es wichtig, die Arbeit der Stiftung von innen kennenzulernen, bevor ich diese neue Verantwortung übernehme. 

Beate Heraeus, worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken? 

Beate Heraeus: Ein wichtiger Wendepunkt für die Stiftung war, als ich beschlossen habe, dass wir uns von einer vielfältig fördernden Stiftung zu einer strategisch, operativ arbeitenden Stiftung entwickeln. Ein Ritterschlag war zudem, als uns das hessische Kultusministerium beauftragt hat, Seminare für Schulleitungen anzubieten, die seit 2017 für alle, die sich um eine Stelle als Schulleiter oder Schulleiterin in Hessen bewerben, verpflichtend sind. Ich finde es nur konsequent, dass meine Tochter dies nun weiterdenkt. 

„Stiftungen sind zu führen wie Unternehmen.“

Beate Heraeus

Wie meinen Sie das? 

Alexandra Heraeus: Ein wichtiges Thema ist das Wachstum. Wir haben vor einigen Jahren angefangen, für und mit Kultusministerien zu arbeiten, und konnten damit unsere Budgetmöglichkeiten erweitern. Diese Art von Kooperation könnten wir ausbauen. Darüber hinaus haben wir noch andere strategische Ansätze, um das Budget langfristig zu erhöhen, und auch Spenden oder Erbschaften stellen eine Möglichkeit dar. Da ist schon noch Musik drin! Wir leisten eine fantastische Arbeit und haben viele Ideen, was wir noch bewegen könnten, dafür wollen wir noch mehr Ressourcen mobilisieren.  

Sie sagten, dass Sie bereits in den letzten beiden Jahren als Geschäftsführerin an den Strukturen der Stiftung gearbeitet haben. Warum war Ihnen das wichtig? 

Alexandra Heraeus: Das war ein bisschen so wie bei einem erfolgreichen Start-up: Irgendwann ist es so groß, dass sich die Strukturen anpassen müssen. Dabei waren mir drei Punkte besonders wichtig: die Digitalisierung von Prozessen, die Einführung von agilem Arbeiten und ein stärkerer Fokus auf Wirkungsmessung. 

Was halten Sie von den Neuerungen, die Ihre Tochter implementiert hat? Haben Sie Angst, die Stiftung irgendwann nicht mehr wiederzuerkennen?  

Beate Heraeus: (lacht) Im Gegenteil, das wünsche ich mir sogar! Veränderung ist absolut in Ordnung, Hauptsache, sie passt in die Zeit. Alexandra hatte schon seit 2020 völlig freie Hand, deshalb ist der Übergang überhaupt nicht stressig. 

Alexandra Heraeus: Genau, dass ich in den letzten zwei Jahren immer tiefer in die Materie eingetaucht bin, macht die Übergabe jetzt um einiges leichter. 

„Ich habe kein Problem damit, nach Ideen zu fragen.“

Alexandra Heraeus

Beate Heraeus, wie war denn Ihr Start vor 36 Jahren, als Sie Vorstandsmitglied der Heraeus Bildungsstiftung wurden?  

Beate Heraeus: Ich war neben meiner Tätigkeit für den WWF zuvor mehrere Jahre im familieneigenen Unternehmen tätig, der Teutonia Zementwerke AG Hannover. Ich fand es sehr spannend, als Unternehmerin in eine verantwortungsvolle Rolle in einer Stiftung zu wechseln. Die Herausforderungen sind die gleichen wie in einer anderen Führungsposition auch. Anfangs war ich sicherlich nicht so trittsicher, aber ich habe enorm viel dazugelernt.  Ich erinnere noch, welche Scheu ich hatte, in dieser damals von Männern dominierten Welt etwas vorzutragen. Aber mit der Zeit ist es mir gelungen, diese Scheu zu überwinden.  

Wie hat sich der Stiftungssektor während Ihrer Amtszeit verändert? 

Beate Heraeus: Generell ist er frauen- und familienfreundlicher geworden, alleine weil der Umgang mit den Arbeitszeiten flexibler geworden ist. Hier hat sich auch durch die Pandemie viel getan. Heute gibt es auch mehr Allianzen, werden mehr Kooperationen geschmiedet, um gesellschaftlich mehr Input, aber auch Output zu liefern. Da hat sich vieles zum Guten hin verändert.  

Welche Botschaft würden Sie der Generation, die heute die wichtigen Positionen in Stiftungen übernimmt, gern mitgeben? 

Beate Heraeus: Dass Stiftungen zu führen sind wie Unternehmen. Das habe ich übrigens von Anfang an gesagt. Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass Stiftungen wie das Hobby eines Vorstandsvorsitzenden aufgestellt sind. Nur so kommt man zu mehr Relevanz– und das ist gut so. 

„Der Sektor ist frauen- und familienfreundlicher geworden.“

Beate Heraeus

Werden Sie die Stiftung wirklich komplett verlassen? 

Beate Heraeus: Nein, ich wechsle in die Leitung des Beirats der Stiftung. Auf die politische Komponente dieser neuen Aufgabe freue ich mich sehr: Warum etwa ist der Bildungsgipfel, der Mitte März auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Berlin stattfand, nicht gelungen? Was war das Problem? Wie können wir das gemeinsame Anliegen einer verbesserten Bildung unterstützen? Ich bin überzeugt, dass sich unser Bildungssystem sehr schnell und sehr tiefgreifend anpassen muss. Wir leben in einer veränderten Welt, und das bedeutet, dass eine Lehrkraft heute ganz anders ausgebildet werden muss als noch vor 20 Jahren.  

Bei Familienunternehmen hört man ja manchmal von Problemen beim Generationenwechsel, gerade wenn das scheidende Elternteil weiterhin im Unternehmen präsent ist. Wie wollen Sie verhindern, dass Ihnen das auch passiert?  

Beate Heraeus: Ich werde warten, bis eine Frage kommt, und nicht sofort sagen: Das habe ich früher aber ganz anders gemacht. Alexandra kann mich gerne jederzeit fragen, aber ich werde mich nicht dauernd einmischen.

Haben Sie denn vor, Ihre Mutter hin und wieder um Rat zu fragen, oder wollen Sie sich lieber alleine durchkämpfen?  

Alexandra Heraeus: Ich habe kein Problem damit, nach Hilfe und Ideen zu fragen. Ich muss nicht alles alleine schaffen. Und meine Mutter ist ein Mensch, den ich gerne anspreche, weil ich weiß, dass ich keine Besserwisser-Antwort bekomme, sondern eine ehrliche Sichtweise. 

Haben Sie noch weitere Ratschläge an Stiftungen, bei denen ebenfalls eine familieninterne Nachfolge ansteht?  

Beate Heraeus: Zu Anfang haben wir uns eine Mediatorin und Coachin genommen, um unsere Themen und Emotionen zu sortieren. Jetzt können wir ganz gut trennen, in welcher Rolle wir miteinander reden – ob als Mutter und Tochter oder als Partnerinnen in der Stiftung. Die Übergänge miteinander zu gestalten, halte ich für sehr wichtig. Das vorhandene Wissen sollte genutzt werden. Gleichzeitig muss man auch loslassen können. 

Ein Beispiel? 

Beate Heraeus: Nun, es gibt durchaus Themen, von denen ich bislang nicht begeistert war, zu denen ich aber meine Haltung verändert habe. Das fühlt sich auch nicht falsch an, sondern dient der Organisation. Entscheidend ist, dass man sich bei manchen Dingen zurückhält, und das geht, glaube ich, bei uns beiden ganz gut.

Über die Gesprächspartnerinnen

Beate Heraeus
Nach 36 Jahren bei der Heraeus Bildungsstiftung hat Beate Heraeus (Jahrgang 1951) am 1. April 2023 den Vorstandsvorsitz an ihre Tochter Alexandra übergeben. Die gelernte Diplom-Kauffrau und Mutter dreier Töchter wechselte in die Leitung des Beirats. Vor ihrer Tätigkeit in der Stiftung war Beate Heraeus mehrere Jahre im familieneigenen Unternehmen, der Teutonia Zementwerke AG Hannover, tätig, sowie Präsidiumsmitglied im WWF Deutschland, Frankfurt. Seit 2012 ist sie Präsidentin der Senckenberg – Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt. 2022 wurde sie mit dem Hessischen Verdienstorden ausgezeichnet. 

Alexandra Heraeus
Alexandra Heraeus (Jahrgang 1989) hat zum 1. April 2023 den Vorstandsvorsitz der Heraeus Bildungsstiftung übernommen. Bereits seit 2020 war sie in der Stiftung als Geschäftsführende Vorständin tätig und dort für die Leitung des operativen Geschäfts mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationsentwicklung zuständig. Die Mutter zweier Kinder lebt mit ihrer Familie in Hamburg. 

Über die Heraeus Bildungsstiftung

Die Heraeus Bildungsstiftung ist eine gemeinnützige Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in Hanau. Sie setzt sich seit 1965 für Bildungsthemen ein und konzentriert sich seit mehr als 20 Jahren auf Führungs- und Strategiefragen sowie Personal- und Organisationsentwicklung in Schulen.

Die Stiftung vermittelt Schulleitungen und Lehrkräften Kompetenzen in Management-, Kommunikations- und Führungsfragen. Mit ihren bundesweiten Veranstaltungen unterstützte sie im Jahr 2022 rund 9.000 Schulleiter*innen und Lehrkräfte in ihrer Arbeit.

Seit 2017 wird sie vom Hessischen Kultusministerium mit der Qualifizierung für Schulleiter*innen in Hessen (VA-QSH-SL) beauftragt, andere Bundesländer folgten mit eigenen Programmen. Mit dem Deutschen Philologenverband veranstaltet sie den bundesweiten Wettbewerb „Deutscher Lehrkräftepreis – Unterricht innovativ“.  

Mehr Infos unter: www.heraeus-bildungsstiftung.de 

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