Aktivismus fördern: Finger weg oder mehr davon?

So viel Aktivismus war lange nicht. Vor allem die Klimakrise treibt viele Menschen zu politischem Engagement jenseits des etablierten Parteienspektrums. Das stellt immer mehr Stiftungen vor die Frage: Wollen wir diese neuen Protestbewegungen unterstützen? Ein Pro & Contra von Stefan Diefenbach-Trommer und Knut Cordsen

 

Pro

Von Stefan Diefenbach-Trommer

Jedes Handeln, das auf die Gesellschaft einwirkt, ist politisch. Sollten Stiftungen nicht politisch sein, würde es sie nicht geben.

In der Not zu helfen, ist mindestens Ausdruck einer gesellschaftlich-politischen Haltung: „Uns sind die Hungernden nicht egal.“ Eine Suppenküche aufzubauen oder zu finanzieren, kann eine noch politischere Handlung sein, weil sie einen Missstand deutlich werden lässt. Und warum sollten Stiftungen sich damit zufriedengeben, diesen Missstand abzumildern, wenn sie merken, dass sie wirkungsvoll seine Ursachen bekämpfen können?

Also: Klimaresistente Bäume zu pflanzen ist schon politisch. Politische Maßnahmen zum Klimaschutz zu fordern ebenfalls.

Von der Haltung zur Handlung

Und all das ist aktivistisch. Es ist ein Handeln (nicht nur ein Zusehen, Kommentieren, Diskutieren) jenseits des Staates. Vielleicht ist Aktivismus eine viel passendere Bezeichnung als „Ehrenamt“ oder „Engagement“. Warum nicht von Lebensrettungs-Aktivist:innen, Sport-Aktivist:innen und eben auch Demokratie-Aktivist:innen sprechen?

Aus der Haltung wird eine Handlung. Etwas zu fordern ist eine Handlung, im Gegensatz zum Hinnehmen. Etwas zu fördern ist ebenfalls eine aktive, ja eine aktivistische Handlung. Viele Stiftungen agieren ausschließlich oder vor allem als Förderstiftung und verteilen Geld, damit andere aktiv sein können. Sie fördern Aktivismus.

Es gibt dabei eine Spannung zwischen zivilgesellschaftlichem Aktivismus, der aus sich entsteht, und dem Staat, der Rahmenbedingungen setzt, Grenzen zieht und Fördermittel als Anreiz verteilt. Menschen handeln, ändern, helfen, bevor der Staat ein Problem überhaupt realisiert. Dieses nicht-staatliche Handeln (also: Aktivismus) steht übrigens am Beginn jeder Not- und Katastrophenhilfe.

Der moderne liberale Staat fördert Aktivismus mit Geld und Rahmenbedingungen: Weil er weiß, dass er von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen kann. Auch weil er weiß, dass diese Überzeugungen und diese Kraft gar nicht zu bezahlen sind. Doch manche Felder überfördert er eventuell. Auf jeden Fall übersieht er manche Felder.

Handeln, wo der Staat noch passiv ist

Diese Spannung können Stiftungen überbrücken, indem sie mit nicht-staatlichem Geld fördern, wo der Staat noch gar kein Problem erkannt, keine Förderrichtlinie geschrieben hat. Und selbst wenn private Stiftungen mit staatlichem Geld handeln, kann das die Spannung überbrücken, weil diese Stiftungen dann als Mediatoren handeln. Also Vermittlungs-Aktivismus betreiben.

Weil Stiftungen und andere zivilgesellschaftliche Organisationen keine demokratische Mehrheit brauchen, können sie handeln, wo der Staat noch passiv ist. Sie sollten dabei dennoch demokratisch handeln und zusammenführen und vermitteln. Sie sollten dafür werben, dass staatliche Entscheidungen gelten – und gerade deshalb auf diese Entscheidungen einwirken.

Unpolitisch zu sein, sich rauszuhalten, sich nicht zu verhalten, ist am Ende politisch. Es ist vielleicht nicht aktivistisch. Es ist vielleicht konservativ. Doch auch etwas bewahren zu wollen, ist eine politische Haltung, die Aktivismus erfordern kann.

Diesen Aktivismus muss das Gemeinnützigkeitsrecht ermöglichen statt ihn zu begrenzen. Viele der gemeinnützigen Zwecke sind sowieso politisch aufgeladen, wie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, der Umweltschutz oder auch die Völkerverständigung. Selbst ein Zweck wie die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens kann plötzlich sehr politisch sein. Eine Forderung zu stellen, eine Handlung anderer zu fordern, ist nicht passiv. Es ist ein selbstverständlicher Teil von Stiftungshandeln. Ohne Aktivismus gäbe es keine Stiftungen.

Contra

Von Knut Cordsen

Angesichts der Allgegenwart des Aktivismus in unserer Gesellschaft verwundert es nicht, dass es hierzulande auch eine „Bewegungsstiftung“ gibt. Sie sitzt im niedersächsischen Verden. Seit über 20 Jahren unterstützen ihre 240 Stifter*innen „Proteste für bezahlbare Mieten, Demokratie, Menschenrechte und Klimaschutz“ finanziell, weil sie ideell deren Ziele teilen. Über 180 Organisationen und viele Aktivist*innen, die für einen politischen Wandel streiten, sind bereits in den Genuss ihrer Förderung gekommen. Dass eine Stiftung sich dem Aktivismus derart explizit verschreibt, ist allerdings eher die Ausnahme. In der Regel steht Aktivismus nicht schon im Namen.

Und doch engagieren sich Stiftungen nicht selten aktivistisch. Die Amadeu-Antonio-Stiftung etwa fördert viele Projekte zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus. Auch die „Generationenstiftung“ präsentiert ihren Aktivismus auf der Website: Auf ihr Betreiben hin hat sich ein Jugendrat von Aktivist*innen in Berlin konstituiert.

Aktivismus ist rechts- wie linksoffen …

Aufmerksame Zeitgenossen werden es registriert haben: Im gemeinnützigen Gustav-Stresemann-Institut, hinter dem eine gleichnamige Stiftung steht, wurde ein Seminar über „Mindful Activism“ abgehalten. Untertitel: „Nachhaltig wirksam in Aktivismus und politischer Bildungsarbeit“. Der Klimaaktivist Tadzio Müller arbeitete bekanntlich in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Partei Die Linke nahesteht und damit eine von mehreren parteinahen Stiftungen unterschiedlicher Couleur ist, die es hierzulande gibt.

Die Desiderius-Erasmus-Stiftung, um den rechten Antipoden zur Linken zu nehmen, lässt sogenannte „Bürgerrechtsaktivisten“ auf Kongressen über Meinungsfreiheit sprechen. Aktivismus ist so rechts- wie linksoffen.

Wir blenden gern aus, dass selbst Identitäre und Neonazis Aktivisten sind – sie praktizieren jenen Aktivismus, den Ernst Bloch in „Das Prinzip Hoffnung“ mit dem schönen Wort „Schandaktivismus“ belegt hat. Aktivismus ist nicht per se progressiv. Er ist schon immer von sehr janusköpfiger Gestalt.

... und damit nicht per se progressiv

Das sollte man immer im Blick haben, wenn man das von der Ampel-Koalition angestoßene, noch nicht beschlossene Demokratiefördergesetz diskutiert. Der ehemalige mecklenburgische Finanzminister Mathias Brodkorb bezeichnete es unlängst als „staatlich geförderten Aktivismus“.

Das jüngst ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge der Bund der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung zu Unrecht eine staatliche Förderung verweigert, sollte die Befürworter eines solchen Demokratiefördergesetzes sehr nachdenklich stimmen. Denn wer zivilgesellschaftliche Vorhaben mittels „Aktivierung, Erhaltung und Stärkung demokratischer Werte“ fördern will, muss im Sinne der angestrebten „Gestaltung von gesellschaftlicher Vielfalt“ sowie der „Förderung von Toleranz und gegenseitigem Respekt sowie der Anerkennung von Diversität“ womöglich auch missliebige Projekte unterstützen. Wer ein Gesetz gegen „multiple Diskriminierungen“ vorantreibt, sollte tunlichst darauf achten, dass er nicht seinerseits einzelne Antragsteller diskriminiert, indem er sie für nicht förderungsberechtigt erklärt.

Statt Aktivisten zu fördern, sollte man sie besser erforschen: Die Gerda-Henkel-Stiftung unterstützt gerade eine Studie der Uni Erfurt, die der Frage nachgeht: „Wen repräsentiert die ‚Letzte Generation‘?“  

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Diskussion ( 1 )


Aktionismus für eine bessere Welt, mit legalen Mitteln, dass finde ich gut. Dafür Unterstützung mit Stiftungsgeldern ist eine gute Wahl, aber wer entscheidet bei Ihnen, wer stiftungswürdig ist? Hier sollte man doch differenzieren, ob und wem Geld zufließen sollte. Wer gegen Recht und Ordnung verstößt, hat „NULL“ Anspruch auf Fördergelder! Gruppierungen, die dem Staat, also jedem steuerzahlenden Bürger, Schaden zufügen, müssen in Haftung genommen werden. Auch Stiftungen, die hier Gelder geben, dürfen das nicht unbestraft ausführen. Es sollten umgehend die infrage kommenden Stiftungen geschlossen und die noch vorhandenen Gelder gesperrt werden, damit man hier gegen die durch die Förderung der einzelnen Gruppierungen entstandenen Schäden verwenden kann. Außerdem sollte man die erhaltenen Vorteile, insbesondere Steuern, einklagen. Warum fordere ich diese Maßnahmen? Weil wir immer noch ein Rechtsstaat sind und Stiftungen auch nur dem Gesetz nach handeln dürfen. Es kann doch nicht unser Bestreben sein, derartige Aktionen für die Umwelt zu unterstützen, wo man Tausende von Polizeibeamten einsetzen muss, um unsere Straßen von diesen Klebergeschädigten frei zu machen. Oder finden Sie es richtig, dass wertvolle Gemälde in Museen und Ladengeschäfte beschmiert und Autos angezündet werden? Hier könnte man die Liste noch grenzenlos erweitern. Mehrere 100.000 Mitarbeiter mussten die Verspätungen mit Überstunden ausgleichen. Leider habe ich diesbezüglich keine Kenntnis über Entlassungen. Krankenwagen (Todesfall in Berlin), Feuerwehren kamen zu spät zu ihren Einsatzorten. Der Bundesverband sollte beginnen, hier zu prüfen, wer zu den Stiftungen zählt, die das unterstützt haben! Meines Erachtens sind die Stiftungen sofort aufzulösen und sollten von der Justiz verfolgt werden! Meine Hoffnung zu diesen Kommentar: „Bitte nachdenken!“

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