• Drei Fragen an ...

Hirschfeld-Eddy-Stiftung

„Angst ist unser ständiger Begleiter“, sagte die lesbische Menschenrechtsaktivistin Fannyann Eddy aus Sierra Leone. Gemeinsam mit Magnus Hirschfeld, dem Pionier der homosexuellen Menschenrechtsbewegung, ist sie die Namensgeberin für die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, die 2007 in Berlin auf Initiative des damaligen Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), heute LSVD+-Verband Queere Vielfalt, gegründet wurde. Im „Pride Month“, der im Juni an den Kampf und die Geschichte der queeren Bürgerrechtsbewegung erinnert, haben wir mit Geschäftsführer Klaus Jetz über die Arbeit der Stiftung und aktuelle Herausforderungen gesprochen. 

Konferenz der Equal Rights Coalition im Dezember 2024 in Berlin
© LSVD+/ Caro Kadatz
4 Minuten 17.06.2025

Aus welchem Grund hat sich der LSVD für die Stiftungsgründung entschieden und wie kam es zur Namenswahl? 

Der LSVD+ arbeitet seit mehr als 30 Jahren auch international, er ist vernetzt und unterstützt queere Menschenrechtsverteidiger*innen im globalen Süden und Osteuropa. 2006 erhielt der Verband Beraterstatus vor dem Wirtschafts- und Sozialausschuss der UN (ECOSOC-Status). Daran knüpften wir an und bündelten unsere internationale Menschenrechtsarbeit seit 2007 unter dem Dach der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Benannt ist sie nach dem Pionier der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung Dr. Magnus Hirschfeld (1868–1935) aus Deutschland, und nach der prominenten lesbischen Menschenrechtsaktivistin Fannyann Eddy (1974–2004) aus Sierra Leone. Der LSVD+ finanziert seine Arbeit durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Er verwaltet seine Stiftung treuhänderisch, stellt Personal und Infrastruktur für die Menschenrechtsarbeit zur Verfügung. Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung sammelt Spenden für Menschenrechtsverteidiger*innen vor Ort, für einige Partnerorganisationen beantragen wir auch Projekte im Auswärtigen Amt. Zudem unterstützt das Bundesministerium der Justiz seit 2020 auf Beschluss des Deutschen Bundestages die Hirschfeld-Eddy-Stiftung jährlich mit einem Projekt. Hierbei geht es immer um die Vermittlung von Wissen und Informationen über die Menschenrechte von LSBTIQ* in aller Welt in hiesige Strukturen der Menschenrechts- oder Entwicklungszusammenarbeit.

Die Kombination im Stiftungsnamen ist Programm: Der Kampf für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen sowie weiteren queeren Menschen (LSBTIQ*) ist eine weltweite Angelegenheit. Es geht um Prinzipien, die in Europa genauso gelten wie in anderen Weltregionen, darum dass überall respektiert wird, dass LSBTIQ*-Rechte Menschenrechte und als solche unteilbar, universell, unverhandelbar sind. Zudem zeigen wir in unserer Arbeit immer wieder auf, dass die schwierige Situation von LSBTIQ* in vielen Ländern des Globalen Südens auch koloniale Wurzeln hat. LSBTIQ* feindliches Strafrecht und entsprechende religiös motivierte Einstellungen gehen auf die Kolonialisierung und Missionierung durch europäische Staaten zurück. Noch heute nehmen christlich-fundamentalistische Bewegungen aus den USA oder Europa negativen Einfluss auf die Rechtsentwicklung in vielen Ländern Afrikas oder Lateinamerikas und versuchen oftmals, eine Verschärfung LSBTIQ* feindlicher Gesetze im Strafrecht zu befördern.

Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung leistet konkrete Hilfe für bedrohte Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und intergeschlechtliche Menschen (LSBTIQ*) – insbesondere im globalen Süden und in Osteuropa. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Menschenrechte in diesen Regionen ein und welche Unterstützung können Sie vor Ort leisten? 

Die rechtliche und gesellschaftliche Situation von LSBTIQ* und der Umgang mit ihnen sind ein Lackmustest für den Reifegrad eines Gemeinwesens. Der Druck auf die Menschenrechte von LSBTIQ* hat sich seit einigen Jahren sogar verstärkt – rechtliche Errungenschaften werden zum Teil systematisch zurückgefahren. Autoritär regierte Staaten wie Russland und China verfolgen ihre jeweilige Agenda gegen Menschenrechte. Russland hat nicht nur explizite Gesetze gegen LSBTIQ* im Inland, sondern führt auch einen Kulturkampf gegen den „dekadenten“ Westen. Menschenrechte für LSBTIQ* sind hier explizit mitgemeint und häufig Gegenstand der Propaganda.  Andere autoritär regierte Staaten, etwa Ungarn, Uganda, Nicaragua oder Venezuela kopieren die queerfeindliche Gesetzgebung vor allem Russlands. Die russisch-orthodoxe Kirche und christlich-fundamentalistische Kräfte aus dem Norden breiten sich auf dem afrikanischen Kontinent aus und mischen sich ein in die Innenpolitik vieler Länder Afrikas. So verschärfen Uganda, Kenia, Ghana und andere Staaten die Kriminalisierung homosexueller Handlungen. In einigen Staaten wie Saudi-Arabien, Mauretanien, Iran, Afghanistan, Somalia oder Teilen Nigerias droht gar die Todesstrafe. Queere Aktivist*innen arbeiten unter Lebensgefahr, werden verfolgt und ins Exil getrieben. Hinzu gesellt sich seit Jahresbeginn die Trump-Administration, die trans* Menschen zur Zielscheibe ihrer Hassbotschaften und restriktiven Gesetzgebung auserkoren hat. Für die Trump-Administration gibt es nur zwei Geschlechter, Reisepässe werden nur noch mit einem Geschlechtseintrag ausgestellt, der bei der Geburt zugewiesen wurde. Eine dritte Geschlechtsoption neben männlich und weiblich wurde gestrichen, trans* und nichtbinäre Menschen werden damit in die Unsichtbarkeit gedrängt und ihrer Geschlechtsidentität beraubt und konkreten Gefahren ausgesetzt, etwa wenn sie ins Ausland reisen. Aus dem US-Militär und dem Frauensport wurden trans* Menschen bereits per präsidialem Dekret ausgeschlossen. Darüber hinaus haben die USA von heute auf morgen die meisten ihrer Hilfsprogramme im Globalen Süden und Osteuropa eingestellt. Schlimme Zeiten für LSBTIQ*. Aufgrund der zentralen Stellung im internationalen Machtgefüge ist es zu befürchten, dass diese Entwicklung sich auf andere Teile der Welt ausbreitet.

Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung leistet weiterhin durch internationale Vernetzung und Kooperationen mit Partnerorganisationen im Globalen Süden und in Osteuropa ganz konkrete Hilfe für bedrohte LSBTIQ*. Wir sammeln Spenden für unsere Freund*innen in Polen, der Ukraine, in Uganda, Ruanda oder für exiliranische Organisationen. Diese eingehenden Beträge leiten wir eins zu eins an die Partnerorganisationen weiter. Darüber hinaus unterstützen wir Partnerorganisationen bei der Antragstellung im Auswärtigen Amt oder bei den Auslandsvertretungen. Wichtig ist hierbei, dass die Bedarfe immer von den Aktivist*innen vor Ort formuliert werden und nicht an hiesigen Schreibtischen entwickelt werden.  

In Ihrem neuen Projekt untersuchen Sie LSBTIQ*-Rechte als Gradmesser für Demokratie. Wie kann man sich das vorstellen? 

Das Projekt Der pinke Faktor thematisiert die Rolle von LSBTIQ* im globalen Streit um Werte, Ressourcen und Vorherrschaft. Minderheitenrechte gelten als Indikator für die Qualität oder den Reifegrad einer Demokratie, so sind auch die Rechte von LSBTIQ* ein Gradmesser für Demokratie, der Lackmustest sozusagen. Werden diese Rechte eingeschränkt oder abgeschafft und dabei Hassbotschaften immer wieder durch Behörden, Regierungen, in Parlamenten sowie Medien oder manchmal auch Gotteshäusern öffentlich in den Vordergrund gestellt, dann geht dies oft einher mit einer massiv verschlechterten Menschenrechtslage überhaupt und einer Verfestigung autoritärer Herrschaftsstrukturen. Als Beispiele können Regime wie in Russland, Nicaragua oder Kamerun genannt werden. Unser Projekt zeigt die aktive Rolle von queeren Menschen im internationalen Menschenrechtssystem. Dabei geht es auch darum, wie queere Menschen zu Objekten von Funktionalisierung und Instrumentalisierung gemacht werden. Das lässt sich bei den Vereinten Nationen beobachten, wo fundamentalistische und undemokratische Akteur*innen gegen bestehendes Völkerrecht vorgehen, um zum einen reproduktive Rechte von Frauen und die Anerkennung von LSBTIQ* als Menschenrechtssubjekte zurückzudrehen. Zum anderen aber geht es den entsprechenden Gruppen darum, das nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Menschenrechtssystem neu zu interpretieren, Zivilgesellschaften in ihren Ländern in die Schranken zu weisen und autoritäre Herrschaftsstrukturen zu verfestigen.

In Veranstaltungen und Veröffentlichungen wird die aktuelle geopolitische Lage aus Sicht von LSBTIQ* analysiert. Aktivist*innen aus dem Globalen Süden und Osten zeigen auf, welche aktive und positive Rolle LSBTIQ* im Kampf für Menschenrechte, Demokratie und Multilateralismus spielen und warum sie so oft an der Spitze demokratischer Bewegungen stehen. Das Projekt zielt darauf ab, relevante Stakeholder aus der Menschenrechtspolitik oder Entwicklungszusammenarbeit hierzulande für die Thematik zu sensibilisieren, sie mit Aktivist*innen aus anderen Weltregionen zu vernetzen mit dem Ziel, Unterstützung und Projekte in diesem Bereich nachhaltig zu gestalten und zu vervielfachen.

Über den Gesprächspartner
Klaus Jetz © LSVD+/ Caro Kadatz
Klaus Jetz © LSVD+/ Caro Kadatz

Klaus Jetz ist Geschäftsführer der Hirschfeld-Eddy-Stiftung sowie des LSVD+. 

Über die Stiftung

Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung leistet durch internationale Vernetzung und Kooperationen mit Partnerorganisationen im Globalen Süden und in Osteuropa ganz konkrete Hilfe für bedrohte LSBTIQ*. Wir unterstützen die LSBTIQ*-Menschenrechtsarbeit auf nationaler und internationaler Ebene durch Aufklärung, Sensibilisierung und Allianzenbildung, leisten Überzeugungsarbeit bei den Verantwortlichen der Außenpolitik, der Entwicklungszusammenarbeit und der Menschenrechtspolitik, stärken die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen und fördern Kampagnen gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit und strafrechtliche Verfolgung.

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