Überlebenshilfe für den Journalismus
Der unabhängige Journalismus gerät immer stärker unter Druck. Nun geht die Schöpflin Stiftung neue Wege, um ihm unter die Arme zu greifen. In Berlin-Neukölln errichtet sie derzeit Publix, ein „Haus für Journalismus und Öffentlichkeit“. Was genau das Projekt erreichen will und wie damit die Debatte um gemeinnützigen Journalismus befeuert werden soll, haben uns die Macher bei einem Rundgang auf der Baustelle erklärt.
Die Sirenen heulen ohrenbetäubend, durch das riesige Panoramafenster zur belebten Hermannstraße in Berlin-Neukölln sieht man einen Feuerwehrwagen in hohem Tempo stadteinwärts fahren. „Das geht hier alle halbe Stunde so“, sagt Tim Göbel. Zu stören scheint ihn der Lärm nicht. Der Geschäftsführende Vorstand der Schöpflin Stiftung mit Sitz im beschaulichen Lörrach steht gut gelaunt im Erdgeschoss eines Rohbaus, der in wenigen Monaten fertiggestellt und dann Standort eines in Deutschland einmaligen Projekts sein soll: Publix, so der Name des Vorhabens und später des Hauses, ist nichts weniger als der Versuch, Journalismus neu zu denken und innovative Formate für den Austausch zwischen Medien und Zivilgesellschaft, mit Politik, Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu finden.
Doch was heißt das konkret? Und warum braucht es dazu ein eigenes Haus? Mit den Initiatoren haben wir uns zu einem Rundgang durch den sechsstöckigen Rohbau verabredet, der von dem Berliner Architekturbüro AFF entworfen wurde. Neben Göbel, dessen Schöpflin Stiftung Bauherrin und Gesellschafterin von Publix ist, ist Maria Exner gekommen. Sie ist die Gründungsintendantin und Geschäftsführerin von Publix.
Mitgebracht hat die 39-Jährige ein paar Schautafeln, die zeigen, wie es nach Fertigstellung des Hauses hier aussehen wird: Auf den insgesamt sechs Stockwerken, die sich auf etwa 6.000 Quadratmetern erstrecken, soll es Raum für rund 300 Arbeitsplätze geben. Auch eine eigene Coworking-Etage ist vorgesehen. Dort können sich (freie) Journalist*innen, Medienschaffende und Mitarbeiter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen eine Gebühr monatsweise oder auch in kleineren Kontingenten über das Jahr verteilt Arbeitsplätze buchen. Geplant sind zudem Team- und Meeting-Räume, Video- und Audio-Studios, Seminar- und Workshop-Räume, eine öffentlich zugängliche Kantine sowie mehrere Apartments, in denen gearbeitet und gewohnt werden kann.
„Eine solch umfassende Infrastruktur ist für ein Medienhaus schon außergewöhnlich“, erklärt Exner sichtlich stolz. Entwickelt worden sei sie in enger Abstimmung mit den Organisationen, die sich bereits entschieden hätten, nach der Eröffnung des Hauses im Frühjahr 2024 hier einzuziehen – darunter die international tätigen Nichtregierungsorganisationen Reporter ohne Grenzen und Tactical Tech sowie das Recherchenetzwerk Correctiv.
„Dies soll ein Ort sein, der Journalismus sichtbar macht.“
Mit Exners Berufung ist der Schöpflin Stiftung ein echter Coup gelungen. Denn die ehemalige Chefredakteurin des Zeit-Magazins hat für ihren früheren Arbeitsgeber diverse redaktionelle Formate entwickelt, die konsequent den Weg hin zu mehr Bürgerdialog in den Medien gehen und sich damit an der Schnittstelle zwischen Journalismus und zivilgesellschaftlichem Engagement bewegen.
So war die gebürtige Dresdnerin mitverantwortlich für die Gründung des Dialog-Projekts „Deutschland spricht“, das Menschen, die politisch völlig gegensätzlich denken, in kontroverse Vieraugengespräche vermittelt, und dafür 2018 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Zudem baute sie die Festivalreihe Z2X auf, auf der sich junge Leute im Alter zwischen 20 und 29 Jahren über Ideen, wie sich die Welt verbessern ließe, austauschen.
Übrigens beides Projekte, die von Stiftungen mitfinanziert wurden, wie Exner bei unserem Treffen auf der Baustelle in Neukölln erzählt. Daher wisse sie aus eigener Erfahrung, „welche Rolle Stiftungsfinanzierung beim Thema Innovation und Transformation im Journalismus“ spiele.
Exners Erfahrung passt offensichtlich perfekt zur inhaltlichen Ausrichtung der Schöpflin Stiftung. Diese stellt die Förderung eines kritischen und unabhängigen Journalismus in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit – denn eine starke Demokratie sei nicht denkbar ohne eine informierte Gesellschaft. Und diese wiederum sei dafür auf kritische und unabhängige Informationsmedien dringend angewiesen.
Doch genau hier liegt das Problem. Denn der Qualitätsjournalismus steht seit Jahren unter enormem Druck: Das wegbrechende Anzeigengeschäft und die Konkurrenz durch soziale Medien und Online-Publikationen machen vor allem den klassischen Printmedien zu schaffen.
Gemeinnützig über Umwege
Gerade für Berichterstattung, die für die Meinungs- und damit für die politische Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger besonders wichtig ist, wie die Investigativ-Recherche und die Lokalberichterstattung, fehlt vielen Redaktionen das erforderliche Budget und Personal.
Um dieser für die Demokratie gefährlichen Entwicklung etwas entgegenzusetzen, haben in den vergangenen Jahren Journalisten diverse Projekte außerhalb der etablierten Medien- und öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäuser entwickelt, das bereits erwähnte Recherchenetzwerk Correctiv etwa, die spendenfinanzierte Nachrichten-Website netzpolitik.org, die sich vor allem mit netzpolitischen Themen befasst, oder den Verbraucherratgeber finanztip.de.
Nicht wenige dieser medialen Formate, die sich über den Markt nur schwer finanzieren lassen, sind als gemeinnützig anerkannt – allerdings nur über Umwege. Correctiv etwa bildet seine Aktivitäten über den Zweck „Förderung der Bildung“ ab und ist damit gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung, netzpolitik.org und finanztip.de wiederum haben den Status der Gemeinnützigkeit über den Zweck „Förderung des Verbraucherschutzes“ erhalten, andere Organisationen fördern zudem Wissenschaft, Völkerverständigung oder das demokratische Staatswesen. Gewissermaßen eine Notlösung, denn Journalismus selbst ist nicht als gemeinnütziger Zweck in der Abgabenordnung verankert.
Für Göbel ganz klar ein Fehler: „Wir sehen ja, dass der gemeinwohlorientierte Journalismus in Nischen geht, die niemand sonst bedient. Es gibt keinen anderen Akteur, der wie Correctiv eine 30-köpfige Investigativ-Redaktion aufbauen würde.“ Er plädiert daher dafür, neben dem privatwirtschaftlichen und dem beitragsfinanzierten den gemeinnützigen Journalismus als dritte Säule in der Medienlandschaft zu etablieren, denn: „Auf drei Beinen steht man einfach besser als auf zweien.
„Wir wollen der Medienbranche wieder Selbstbewusstsein geben.“
Auch deshalb engagiert sich die Schöpflin Stiftung im Forum Gemeinnütziger Journalismus (FGJ), das die Politik davon zu überzeugen versucht, im Zuge der angekündigten Reform des Gemeinnützigkeitsrechts Journalismus als Satzungszweck in die Abgabenordnung aufzunehmen. Damit wären für sogenannte Non-Profit-Medien nicht nur steuerliche Vorteile verbunden, wie zum Beispiel die Möglichkeit, Spendenbescheinigungen auszustellen. Es wäre für sie auch leichter, sich durch Stiftungen und andere gemeinnützige Akteure wie durch die öffentliche Hand fördern zu lassen. Erste Erfolge konnte das FGJ bereits erzielen, so heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel-Bundesregierung: „Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus.“
Bauliches Ausrufezeichen
Doch viel mehr ist auf politischer Ebene seither nicht passiert. Über die Gründe lasse sich nur spekulieren, so Göbel. Möglicherweise gebe es Gegenwind von Kritikern des gemeinnützigen Journalismus. In der Tat macht etwa der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) keinen Hehl daraus, dass er die Idee, Journalismus als gemeinnützig anzuerkennen, ablehnt. So spricht Anja Pasquay, Kommunikationschefin des BDZV, in einer von der Otto Brenner Stiftung herausgegebenen Studie zum Non-Profit-Journalismus, die im Oktober 2023 erschienen ist, von der drohenden Etablierung eines Zwei-Klassen-Journalismus: „Hier der gewinnorientierte Journalismus, dort jener, der mit staatlichem Siegel gemeinnützig agiert. Schon das ist eine Diskriminierung.“
In der Studie warnt sie davor, dass „jegliche Unternehmen und Interessengruppen ihnen genehme journalistische Angebote etablieren könnten und das auch noch mit Steuervorteil und der dann trügerischen positiven Konnotation als ‚gemeinnützig‘“. Kritisch sieht Pasquay zudem den Umstand, dass die Entscheidung über die Gemeinnützigkeit eines journalistischen Angebots von einer staatlichen Stelle – der jeweiligen Finanzbehörde – abhängen würde: „Insoweit besteht eine erhebliche Gefahr der staatlichen Einflussnahme/Kontrolle auf die Arbeitsweise und Organisation der entsprechenden journalistischen Angebote.“
Vor dem Hintergrund dieser Kontroverse lässt sich der Bau von Publix durchaus als in Beton gegossenes Statement der Befürworter des gemeinnützigen Journalismus verstehen, als eine Art bauliches Ausrufezeichen hinter ihrer Forderung nach einer Verankerung des Journalismus in der Abgabenordnung. Für Göbel ist er sowohl logische Fortsetzung als auch Höhepunkt des Engagements der Schöpflin Stiftung für den gemeinnützigen Journalismus:
„Zunächst haben wir einzelne Organisationen gefördert, dann Kollaborationen, daraufhin Lobbyorganisationen wie das Forum Gemeinnütziger Journalismus und schließlich haben wir mit dem JX-Fund einen Fonds gegründet, mit dem wir Medienschaffende im Exil unterstützen. Und irgendwann stand die Idee im Raum: Wäre es nicht interessant, eine Plattform für den gemeinwohlorientierten Journalismus zu schaffen, also noch einen Schritt weiterzugehen für dieses gesamte Ökosystem? Und dann kam dieser etwas verrückte Gedanke, ein Haus zu bauen.“
Ein Gedanke, der umso bemerkenswerter ist, als es auch international kaum Vorbilder gibt. „Wir haben vor Baubeginn lange recherchiert, ob es in anderen Ländern vergleichbare Projekte gibt“, erzählt Göbel. „Damals haben wir nichts gefunden. Heute wissen wir, dass es in Oslo ein interessantes Projekt gibt, das einen ähnlichen Charakter hat wie das unsere.“ Und Exner ergänzt: „In Amsterdam und London entstehen derzeit ebenfalls Häuser, die einen integrativen Gedanken verfolgen und verschiedene Medienorganisationen einladen, unter ihrem Dach zu arbeiten.“
Austausch in beide Richtungen
Ihr eigenes Haus, das ist Exner wichtig, soll nicht allein eine Heimstätte für den aktuell noch sehr überschaubaren Bereich des gemeinwohlorientierten Journalismus sein. „Wir wollen hier wirklich ein Haus für das Experimentieren und die Förderung des Sektors in seiner gesamten Breite schaffen“, betont sie. So sollen auch Kolleg*innen aus etablierten Verlagshäusern eingebunden werden – und zwar in beide Richtungen: „Einerseits soll ihre Arbeit vor allem in Bereichen, die unter dem zunehmenden Kostendruck zu kurz kommen, wie der Investigativ-, der Wissenschafts- und der Lokaljournalismus, gefördert werden. Andererseits wollen wir ihre Expertise im Haus frei zugänglich machen, um in einen echten Austausch zu kommen.“
Noch braucht es etwas Fantasie, um sich vorzustellen, wie es hier nach dem Willen der Macher in wenigen Monaten, zur offiziellen Eröffnung des Hauses im Frühjahr 2024, aussehen soll. Dabei hilft der Blick auf den ebenfalls von AFF entworfenen und im April 2023 eröffneten, rostbraunen Ziegelbau direkt nebenan. Hier hat die Spore Initiative, die 2020 von Hans Schöpflin als Stiftung gegründet wurde, ihren Sitz. Und wie diese wird auch Publix in Ziegelbauweise errichtet und mit einer Sichtbetonfassade sowie großen Glasfassaden im Erdgeschoss ausgestattet.
Wichtig war den Machern vor allem, dem Haus einen offenen, einladenden Charakter zu geben. Denn, so Göbel: „Dies soll eben auch ein Ort sein, der den Journalismus sichtbar macht – und damit den Wert, den er für die Gesellschaft hat.“ Das Haus wird deshalb im Erdgeschoss tagsüber Interessierten offenstehen, die Kantine nicht nur den Menschen, die im Haus arbeiten, sondern prinzipiell allen, die im Kiez leben und arbeiten, die Möglichkeit bieten, preiswert und zugleich gesund zu Mittag zu essen
Zugleich gehe es ihnen auch darum, „der Medienbranche und den Menschen, die dort arbeiten, wieder Selbstbewusstsein zu geben“, so Exner, während wir die Treppe zu den oberen Stockwerken hinaufsteigen. „Die haben in den letzten 20 Jahren ganz schön unter gelitten unter den Marktbedingungen.“
Mitten im echten Leben
Den Journalismus und seinen Wert sichtbar zu machen, ist das eine. Journalistinnen und Journalisten, die in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft immer öfter Anfeindungen erleben, zu schützen, das andere. Auch darum geht es bei Publix – ein Ort zu sein, an dem sich Medienmacher*innen, die zu kritischen Themen recherchieren, oder Menschen, die von digitaler Gewalt betroffen sind, sicher fühlen können. Deshalb beginnt im zweiten Stockwerk, das wir auf unserem Rundgang nun betreten, der geschützte Bereich des Hauses, zu dem niemand außer den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der „Residents“, also der Organisationen, die fest im Haus sein werden, Zutritt haben wird.
„Wir haben viel zu wenig Gründungskultur im Journalismus.“
Und im Dachgeschoss schließlich entstehen mehrere kleine Apartments, jedes mit einer Küchenzeile und einem kleinen Bad ausgestattet. Sehr ruhig ist es hier oben, der Blick geht vorn hinaus über die Dächer der umliegenden Straßenzüge und rückwärts über einen großen Friedhof – und lässt fast vergessen, dass wir uns mitten in Neukölln und damit im deutschlandweit wohl bekanntestem Problembezirk der Hauptstadt befinden. Dabei ist dieser Standort bewusst gewählt – nicht im Regierungsviertel in Berlins hipper Mitte, sondern in einer von sozialen Brüchen und zunehmender Gentrifizierung betroffenen Gegend. Mitten im echten Leben gewissermaßen.
Gedacht sind die insgesamt neun Apartments unterm Dach für Medienschaffende, die als Fellows der Schöpflin Stiftung für mehrere Wochen an einem bestimmten Thema arbeiten, als Übernachtungsmöglichkeit für Speaker und Referierende, die auf Einladung der hier tätigen Organisationen im Haus sind, und als vorübergehende Bleibe für ausländische Journalist*innen, die in ihren Heimatländern bedroht und verfolgt werden.
Über den Dächern Neuköllns
Einen „Retreat-Ort für Medienschaffende“ nennt Exner die oberste Etage des Hauses. Sie weiß, wovon sie spricht, denn sie selbst hat im Sommer 2023 als Fellow des Thomas Mann House in Pacific Palisades, dem Wohnort des Romanciers in seinem kalifornischen Exil, zur Zukunft der Öffentlichkeit und zu den Auswirkungen von digitalen Plattformen auf Journalismus und Demokratie geforscht.
„Derzeit entstehen ja sehr viele solcher Orte in Brandenburg. Dabei gibt es so viel Potenzial, mitten in der Stadt Rückzugsräume zu schaffen, wo Menschen einzeln oder auch in kleinen Teams recherchieren und schreiben können. Und genau das wollen wir mit den Räumen hier bieten, in denen wir im Sinne einer Residency für mehrere Wochen Leute unterbringen können“, erläutert sie.
Doch die Schöpflin Stiftung wäre nicht die Schöpflin Stiftung, wenn sie nicht schon das nächste Ziel vor Augen hätte. „Wir haben viel zu wenig Gründungskultur im Journalismus“, sagt Göbel. „In der Regel werden heute Titel geschlossen oder ganze Verlage abgewickelt. Umso mehr wünschen wir uns, dass Publix ein Nährboden für die Gründung neuer und innovativer Medienformate sein wird.“
Und Exner ergänzt: „Diese Gründungskultur, dieser unternehmerische Geist, liegt ja in der DNA der Schöpflin Stiftung. Ich denke auch, dass Philanthropie als Unterstützerin des Sektors in der Transformationsphase, in der er sich gerade befindet, sehr wichtig ist. Doch das Ziel muss eine nachhaltige Finanzierung sein. Es ist sicherlich nicht der Stein der Weisen gefunden, wenn wir jetzt lauter Redaktionen gründen, die nur von Stiftungsgeldern abhängig sind.“
Die Debatte um den gemeinnützigen Journalismus – vor dem Hintergrund der zunehmend angespannten wirtschaftlichen Situation vieler Zeitungsverlage dürfte sie in Zukunft noch an Fahrt aufnehmen.
Zitierte Literatur:
Leif Kramp, Stephan Weichert: Whitepaper Non-Profit-Journalismus. Handreichungen für Medien, Politik und Stiftungswesen, OBS-Arbeitsheft 112, Frankfurt am Main, Oktober 2023.
Diskussion
Keine Kommentare