
With a little help from my Mentor
Zwischen Selbstzweifeln und großen Ambitionen braucht es oft nur jemanden, der an dich glaubt. Rund 25.000 „Chancenpatenschaften“ sind über das gleichnamige Programm des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen seit 2016 entstanden. Das Potenzial des sozialen Mentorings ist damit noch lange nicht ausgeschöpft.

© Programm Chancenpatenschaften
Manchmal ist man in einer neuen Situation, in einem neuen Land oder einfach an einem Punkt im Leben, an dem man Unterstützung gebrauchen kann. Jemanden, der zuhört, sich Zeit nimmt und einem hilft, sich zurechtzufinden – sei es im Alltag, in der Sprache oder bei einer Sache, die gerade schwerfällt. Mentoring bedeutet genau das: Zwei Menschen, die sich bisher nicht kannten, bauen eine vertrauensvolle Beziehung auf, in der einer dem anderen zur Seite steht. Man füllt gemeinsam Formulare aus, übt Deutsch, spricht über Sorgen oder verbringt einfach Zeit zusammen. Es geht nicht um Karriere-Coaching, sondern um echtes Interesse und das Teilen von Lebenserfahrung.
Chancenpatenschaften stärken Willkommenskultur und Ehrenamt
Weil solche persönlichen Begegnungen viel bewirken, wird Mentoring – auch Patenschaft oder Tandem genannt – von der Bundesregierung gefördert. Mit dem Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“ sollten 2016 zunächst Geflüchtete, vor allem aus Syrien, durch individuelle Patenschaften und Mentoring-Beziehungen beim Ankommen in Deutschland unterstützt werden. Inzwischen ist das Programm deutlich gewachsen und hat sich um weitere Themen und Zielgruppen erweitert. „Das Ganze ist eine große Erfolgsgeschichte“, sagt Axel Halling vom Bundesverband Deutscher Stiftungen, der als einer von 24 Trägern für die Verteilung der Gelder an Organisationen und Projekte im ganzen Land zuständig ist. „Wir haben im vergangenen Jahrzehnt eine Infrastruktur aufgebaut, die die Willkommenskultur und das Ehrenamt nachhaltig stärkt.“ Die Verlängerung der Bundesmittel wird jedoch immer nur von Jahr zu Jahr zugesagt, was die langfristige Zukunftsperspektive auf wackelige Füße stellt. Die Summe für das Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“ wurde seit 2016 nicht erhöht, was de facto aufgrund der Inflation zu einer Verringerung des 18-Millionen-Euro-Budgets geführt hat.
Das ist eine Herausforderung für die rund 55 Organisationen, die als Zuschussempfänger im Rahmen des Programms koordiniert werden und auf Planungssicherheit angewiesen sind. Stiftungen – insbesondere Bürgerstiftungen – im ganzen Land sind darunter, daneben gemeinnützige Vereine wie der Ausbildungscampus Stuttgart. Den Rahmen, in dem sie ihre „Chancenpatenschaften“ organisieren, können die Organisationen relativ frei abstecken. In der Regel werden mit den Geldern aus Berlin Hauptamtliche unterstützt, die vor Ort Ehrenamtliche betreuen. Rund 25.000 Patenschaften sind auf diese Weise gestiftet worden, zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, quer durch alle Milieus und kulturellen Hintergründe.
Eines der besonders erfolgreichen Mentoring-Programme ist der „Studienkompass“ der Stiftung der Deutschen Wirtschaft. Im Fokus stehen Schüler*innen aus Familien ohne akademischen Hintergrund, denen zwei Jahre vor ihrem Abitur erwachsene Gesprächspartner*innen zur Seite gestellt werden, um sie drei Jahre lang beim Start in die Ausbildung oder ins Studium zu begleiten. Die Idee: Nicht die Herkunft, sondern das Talent soll über den Bildungsweg entscheiden.
Jonas Othmann hat den „Studienkompass“ sowohl als Mentee wie auch später als Mentor durchlaufen. Während seines Masterstudiums übernahm er gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen erstmals eine Gruppe von Mentees in Berlin – wie üblich, ohne zuvor den genauen Beratungsbedarf der Jugendlichen zu kennen. Gemeinsame Themen kristallisierten sich schnell heraus: „Ein Schüler in meiner Gruppe mochte Autos und wollte sich zu dieser Branche beruflich orientieren“, erinnert sich Othmann. „Da ich selbst Maschinenbau studiert und ein Praktikum bei BMW gemacht hatte, entstand schnell die Idee, ihn dort zu einer Werksführung einzuladen.“
Intensive Momente und große Effekte in der persönlichen Begegnung
Obwohl beim „Studienkompass“ vorrangig Treffen in der Gruppe stattfinden, bei denen mehrere Mentor*innen mit mehreren Mentees zusammenkommen, hat Othmann die Erfahrung gemacht, dass die ebenfalls im Programm verankerten „Eins-zu-eins-Gespräche“ oft noch einen größeren Effekt haben. Wenn man sich zu zweit im Park trifft, ein Eis isst und sich ungezwungen nach der aktuellen Lebenssituation des oder der Programmteilnehmenden erkundigt. „Viele erzählen dann ungefragt auch von privaten oder psychischen Problemen“, sagt er. „Das sind intensive Momente, die mir gezeigt haben, warum ich die Arbeit als Mentor so wichtig finde. Weil viele der Jugendlichen sonst keinen haben, mit dem sie mal offen reden können oder der ihrem Thema neutral gegenübersteht.“
Mentoring als Form der sozialen Unterstützung – spätestens hier wird deutlich, warum ehrenamtliche Begleitung weder dazu da ist, als reine „Nachhilfe“ die Defizite einer maroden Bildungsstruktur aufzufangen, noch dazu, familiäre Beziehungen oder Freundschaften zu ersetzen. Es geht um eine Verbindung mit ganz eigener Sinnhaftigkeit, einen Puzzlestein im zivilgesellschaftlichen Miteinander, von dem am Ende nicht nur Einzelpersonen profitieren, sondern das Gemeinwesen.
Mit Mentoring zur richtigen Berufswahl
Katja Driesel-Lange, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Münster, weist hier insbesondere auf die Form des Mentorings hin, die bei der Wahl des Berufswegs unterstützt. „Berufliche Orientierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagt sie. Bestenfalls gelinge es, dabei die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen im Blick zu haben. So seien etwa Jungen durch ihre Sozialisierung geneigt, weniger Hilfe anzunehmen, während Mädchen Schwierigkeiten hätten, Entscheidungen zu treffen. Bei unterschiedlichen Erfolgsverarbeitungsmustern im Erleben der eigenen Kompetenz könne Mentoring ansetzen, indem der Ehrenamtliche die Selbstwahrnehmung seines Mentees hinterfrage und gegebenenfalls korrigiere.
Der Schüler, mit dem Jonas Othmann die BMW-Werksführung gemacht hat, ist durch den Austausch mit seinem Mentor beispielsweise auf den Trichter gekommen, dass er trotz seiner Begeisterung für Autos eigentlich keine Fahrzeuge, sondern lieber Häuser bauen will – er studiert mittlerweile Bauingenieurwesen. Othmann konnte ihm aus eigener Erfahrung den Gedanken mitgeben, dass sich nicht aus jedem Interesse automatisch das Studienfach ergibt, das am besten zu einem passt. Am Ende wird man mit einem etwas anderen Berufsweg, auf den man selbst nicht gleich gekommen wäre, womöglich glücklicher.
Wenn es ideal läuft, lohnt sich das Mentoring nicht nur für die Mentees, sondern auch für die Begleitpersonen. Darauf weist Rita Brechtmann hin, die in Wiesbaden mit 46 unterschiedlichen Patenschaftsprojekten zusammenarbeitet und über die Fachstelle Mentoring beim Freiwilligen-Zentrum einen wechselseitigen Wissens- und Informationsaustausch ermöglicht: „Mentoring soll für beide Seiten wirken. Es soll Spaß machen und auch eine Leichtigkeit haben.“ Freiwillige, die sich engagieren wollen, gebe es reichlich – 800 Ehrenamtliche sind es derzeit allein in der hessischen Landeshauptstadt. Und das Potenzial sei damit noch lange nicht ausgeschöpft. „Wir haben Projekte für alle Lebensphasen von Geburt bis Hospiz, mit denen sich immer noch weitere Zielgruppen und Akteure erreichen lassen“, so Brechtmann. Was es noch brauche, sei – neben der langfristigen Finanzierungsperspektive – eine engere Zusammenarbeit von Stiftungen und Freiwilligenagenturen in Städten und Kommunen. So könnten Geldgeber und Projektträger mit gemeinsamen Zielen leichter voneinander erfahren und kooperieren. Denn im Hintergrund wie im Vordergrund gehe es beim Mentoring eben vor allem darum: die richtigen Partner*innen zusammenzuführen.
Weiterführende Informationen
- Programm Chancenpatenschaften beim Bundesverband Deutscher Stiftungen: Programm Chancenpatenschaften | Bundesverband Deutscher Stiftungen
- Bundesprogramm Menschen stärken Menschen: Startseite - Menschen stärken Menschen
- Förderprogramm Studienkompass: https://www.studienkompass.de/
- Paten-, Mentoring- und Tandemprojekte des Freiwilligen-Zentrums Wiesbaden: Paten-, Mentoring- & Tandemprojekte - Freiwilligen-Zentrum Wiesbaden
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