Schach gilt als Sport: Über Gemeinnützigkeitsrecht und körperliche Betätigung
Haben Sie schon einmal im Katalog der gemeinnützigen Zwecke der Abgabenordnung gestöbert? – Sie werden erstaunt sein über die Vielfalt und den Reichtum der Auflistung. Vielleicht sind Sie dabei auch auf die Bestimmung des § 52 Abs. 2 Nr. 21 AO gestoßen. Danach ist – unter den dort genannten Voraussetzungen – ein Engagement im Bereich des Sports als gemeinnützig anzuerkennen. Ergänzt wird dieser Zweck durch einen in Klammern gesetzten Zusatz: „Schach gilt als Sport.“

Für Juristinnen und Juristen liest sich das Wort „gilt“ als eine Annahme. Weil nach Ansicht des Gesetzgebers Schach also wohl gerade nicht als Sport anzusehen ist, bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Gleichstellung – einer Fiktion. Damit stellt sich zugleich die definitorische Frage, was denn den Sport als solchen eigentlich ausmacht.
Sport dient nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs der körperlichen Ertüchtigung: „Erforderlich ist daher eine körperliche, über das ansonsten übliche Maß hinausgehende Aktivität, die durch äußerlich zu beobachtende Anstrengungen oder durch die einem persönlichen Können zurechenbare Kunstbewegung gekennzeichnet ist“ (etwa BFH v. 29.10.1997 – I R 13/97, BStBl. II 1998, S. 9).
So selbstverständlich und möglicherweise erheiternd eine solche Definition erst einmal klingen mag – sie hat weitreichende Konsequenzen. Gemeinnützigkeitsrechtlich macht es einen Unterschied, ob Sie an einem heißen Sommertag bei einem als gemeinnützig anerkannten Sportverein „planmäßig schwimmen“ oder ob Sie doch lieber die Seele baumeln lassen und bei einem Verein, der der bloßen Erholung und Freizeitgestaltung dient, „baden“ gehen (BFH v. 30.09.1981 – R 2/80, BStBl. II 1982, S. 148).
Der E-Sport widmet sich dem organisierten, wettbewerbsorientierten Wettkampf in Videospielen. So viel Geschick der E-Sport auch erfordern mag – eine hinreichende körperliche Ertüchtigung im Sinne des gemeinnützigen Zwecks „Sport“ wird man darin wohl nicht erkennen können. Die aktuelle Bundesregierung hat dies erkannt und sich daher im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Zweckkatalog entsprechend zu erweitern: „Wir erkennen die Gemeinnützigkeit des E-Sports an“ (Zeile 3766).
Kommen wir auf das Schachspielen zurück: Auch Denksportarten sind nach der Definition der Rechtsprechung von der Einordnung als Sport ausgeschlossen. Warum gilt dann allein für den Schach etwas anderes? In den Gesetzesmaterialien findet sich hierfür folgende Begründung: „Die intellektuelle und willensmäßige Anspannung beim Schach erzieht zu folgerichtigem Denken, übt Kombinations- und Konzentrationsfähigkeit und fördert Entschlusskraft und kritische Selbsteinschätzung“ (BT-Drs. 8/3142, S. 3).
Aber: Gilt das nicht auch für andere Denksportarten, zum Beispiel Skat oder Go? – Der Bundesfinanzhof hat sich gegen eine analoge Anwendung der Regelung zugunsten des Skatspiels ausgesprochen und in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) verneint (BFH v. 17.02.2000 – I R 108, 109/98, VGH/NV 2000, S. 1071).
Allerdings ist das Turnierbridge über die Öffnungsklausel (§ 52 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO) wegen einer „entsprechenden“ Förderung der Allgemeinheit für gemeinnützig erklärt worden (vgl. BFH v. 09.02.2017 – V R 70/14, BStBl. II 2017, S. 1106). Die Entscheidung lässt vermuten, dass auch andere Denksportarten bestrebt sein werden, über diesen Weg die Gemeinnützigkeit für ihre Organisation zu erstreiten.
Schach ist faszinierend. Die Züge des Gegners oder der Gegnerin gedanklich zu antizipieren und darauf aufbauend eine Strategie für die eigenen Spielzüge zu entwickeln, ist eine bewundernswerte Leistung. Dieser Umstand vermag allerdings die einzigartige Stellung des Schachs aus der Perspektive des Gemeinnützigkeitsrechts nur schwer zu rechtfertigen.
Im Dritten Sektor sind wir – zurecht – stolz darauf, uns gemeinnützig zu betätigen. Solange die gesetzliche Bestimmung der Abgabenordnung nicht reformiert ist, vermag der Verweis darauf, dass auch der Denksport Sport sei, unsere eigene körperliche Trägheit also regelmäßig nicht zu rechtfertigen. Nehmen wir daher das aktuell geltende Gesetz ernst und begreifen es als Aufforderung an uns selbst: Gemeinnützig handelt, wer sich durch äußerlich zu beobachtende Anstrengung körperlich ertüchtigt!
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