• Nahost-Konflikt und die Folgen

Eine Frage der Haltung

Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft engagiert sich für ein weltoffenes und modernes Frankfurt. Umso besorgter ist ihr Vorstandsvorsitzender Frank E. P. Dievernich über den sprunghaften Anstieg des Antisemitismus, der auch in der Mainmetropole zu verzeichnen ist – und erläutert, wie die Stiftung ihm entgegenwirken will.  

Das Bild zeigt ein Händepaar, das eine Kerze hält
Lichterkette gegen Antisemitismus am Frankfurter Mainufer am 10. Dezember 2023
© Anne Zegelman

Verantwortung beginnt immer bei einem selbst. Und erstreckt sich im besten Falle auf die direkte Umgebung, auf die man unmittelbar einwirken kann. Als Vorsteher einer Frankfurter Stiftung, deren Wurzeln in der Tradition des Frankfurter Bürgertums und den Werten der Aufklärung verankert sind, ist klar, dass Verantwortung zuallererst bedeutet, diese für die eigene Stadt zu übernehmen – gerade in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen.

In unserer gemeinnützigen Stiftungsarbeit verfolgen wir ein zentrales Ziel: die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Dem zugrunde liegt ein klares Wertegerüst, das wir mit unserer im Jahre 1816 aus dem freiheitlichen Geist der Aufklärung gegründeten Muttergesellschaft, der Polytechnischen Gesellschaft, teilen: ein Bekenntnis zur deutschen Verfassung, unseren freiheitlich-demokratischen Werten, Verantwortung, Respekt und Empathie gegenüber unseren Mitmenschen und der Umwelt – und eine klare Haltung, diese Errungenschaften zu verteidigen.

Umso erschütterter und mit Trauer haben wir die schrecklichen, menschenverachtenden Terrorangriffe der Hamas auf die Bürgerinnen und Bürger Israels am 7. Oktober 2023 verfolgt. Unser Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Angehörigen in Israel sowie aufseiten der palästinensischen Zivilbevölkerung, die von der Hamas als Schutzschild missbraucht wird.

Riss durch unsere Gesellschaft

Besonders entsetzt hat uns aber auch der sprunghaft angestiegene Antisemitismus und die Bedrohungen und Angriffe auf jüdische Einrichtungen und Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens – auch in unserer Stadt Frankfurt am Main. Diesen Riss, der sich in unserer Gesellschaft zeigt, dürfen wir unter keinen Umständen akzeptieren. Niemals.

Um ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen, haben wir unser Stiftungshaus – das sich in direkter Nachbarschaft zum Jüdischen Museum Frankfurt befindet – mit einem Banner beflaggt, auf dem „Nie wieder ist jetzt“ steht. Tag und Nacht ist es weithin sichtbar. Unter demselben Motto haben wir zudem gemeinsam mit zahlreichen Frankfurter Kulturinstitutionen zu einer Lichterkette entlang des Mainufers aufgerufen. Dem vorausgegangen ist eine klare Stellungnahme gegen Antisemitismus und für Solidarität mit unseren jüdischen Mitbürgern. Über 4.000 Lichter gegen Antisemitismus brannten am zweiten Adventsonntag am Mainufer.

„Wir stehen auf und nehmen Stellung: im Alltag, bei der Arbeit, im Freundeskreis, in Vereinen und Gemeinden. Wir erheben unsere Stimme gegen Antisemitismus. Wir stellen uns schützend an die Seite von Jüdinnen und Juden. Wer sie angreift, greift uns an. Unsere Solidarität überschreitet religiöse und kulturelle Grenzen“, lautet es treffend im begleitenden Aufruf (abrufbar unter niewiederist.jetzt), dem sich, Stand heute, bereits 100 namhafte Kulturinstitutionen aus der RheinMain-Region angeschlossen haben.

Gezielt in die Stadtgesellschaft hineinwirken

Es kann und darf nicht sein, dass Jüdinnen und Juden in unser aller Stadt wieder auf gepackten Koffern sitzen, Angst erleiden müssen. Da, wo Jüdinnen und Juden Angst haben, müssen wir Angst haben, da, wo Jüdinnen und Juden nicht mehr leben können, können wir selbst nicht mehr leben.

Als große operative und auch fördernde Stiftung wollten wir es aber nicht bei diesen beiden Aktionen belassen. Es war uns zudem ein Anliegen, auch über die Unterstützung von konkreten Projekten und Bildungsangeboten schnell aktiv zu werden und gezielt in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken. Denn der Bedarf an Aufklärungsarbeit – insbesondere an Schulen – ist hoch und hat in Reaktion auf den 7. Oktober sprunghaft zugenommen.

Kurzfristiges Sonderförderprogramm

So haben wir kurzfristig ein 55.000 Euro umfassendes Sonderförderprogramm ins Leben gerufen. Damit konnte die Umsetzung von sechs Projekten Dritter in Frankfurt, die sich gegen Antisemitismus positionieren und zur Stärkung von Toleranz, Verständigung und demokratischen Werten sowie zur Unterstützung israelischer Kinder und ihrer Familien in der Mainmetropole beitragen, gefördert werden.

Um zeitnah auf die aktuelle Situation und den großen Handlungsbedarf zu reagieren, haben wir in diesem Fall ganz bewusst auf einen aufwendigen Ausschreibungs- und Antragsprozess verzichtet. Stattdessen führte der Förderbereich der Stiftung eine Recherche zu vorhandenen wirksamen Projekten und Bildungsangeboten durch. Dabei wurde auf das Netzwerk der Stiftung, Empfehlungen von Projektpartnern, die aktuelle Presseberichterstattung sowie eine Internetauswertung zurückgegriffen.

Die gemeinnützigen Träger der sechs ausgewählten Projekte erhielten zur Umsetzung ihrer Aktivitäten jeweils eine Fördersumme zwischen 5.000 Euro und 12.000 Euro. Sie wurden proaktiv von der Stiftung angesprochen, nach einer inhaltlichen Abstimmung erhielten sie die Fördermittel in einem vereinfachten Zusageverfahren. Der Fokus lag dabei auf Bildungsprojekten, wie zum Beispiel des Berliner Trägers „Transaidency“, der mit Unterstützung der Stiftung Polytechnische Gesellschaft nun auch in Frankfurt Workshops für Jugendliche zu den Themen jüdisches, muslimisches und palästinensisches Leben, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit durchführen wird – jeweils von einem jüdischen und einem muslimischen Trainer begleitet.

Von der Haltung zur Handlung

Weiterhin wurden Angebote der Bildungsstätte Anne Frank für Lehrkräfte und junge Multiplikatoren sowie das Projekt „AntiAnti – Museums goes School“ des Jüdischen Museums Frankfurt zur Prävention von Antisemitismus und Extremismus an Frankfurter Berufsschulen gefördert. Darüber hinaus erhielten auch die OFEK-Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, die Jüdische Gemeinde Frankfurt – die nach dem Hamas-Massaker kurzfristig israelische Familien in Frankfurt aufgenommen hat – sowie der Rat der Religionen Frankfurt eine Unterstützung.

Mit diesem Sonderförderprogramm konnte die Stiftung sofort auf die aktuelle Situation nach den Terrorangriffen vom 7. Oktober und den sprunghaft angestiegenen Antisemitismus reagieren. Der Einsatz gegen Antisemitismus, die Vermittlung von demokratischen Werten und Toleranz sowie die Förderung von Dialog und Begegnung wird auch langfristig unter unserem neuen Motto „Wir bauen am Wir“ in unserer regulären Förderpraxis und in unseren operativen Projekten (darunter die Projekte Junge Paulskirche, Stadtteil-Botschafter oder Diesterweg-Stipendium) gelebt.

Es braucht Haltung, Verantwortung und schließlich konkrete Handlung, um unsere demokratische Gesellschaft zu bewahren. Und das beginnt, nun ja, eben vor der eigenen Haustür, in unserem Fall heißt das: mitten in Frankfurt.

Über die Stiftung

Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft engagiert sich für die Menschen in Frankfurt am Main. In den Bereichen Bildung, Kultur, Bürgerengagement, Wissenschaft, Handwerk, Soziales und Demokratie realisiert und unterstützt die im Jahre 2005 errichtete Stiftung Projekte, die die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen fördern und die Teilhabe an der Gemeinschaft stärken. So leistet sie einen ganz praktischen Beitrag zu einer lebendigen und solidarischen Stadtgesellschaft – ganz nach ihrem Motto „Wir bauen am Wir“.

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