• Stiften in Ostdeutschland

Stadt, Land, stiftungsarm

Auf den ersten Blick scheint die Datenlage eindeutig: Was Stiftungsbestand und Zahl der Neugründungen angeht, liegt der Osten weit hinter dem Westen zurück. Doch bei genauerer Betrachtung der Zahlen zeigt sich ein differenzierteres Bild.

Deutschland ist ein Stifter*innenland: Bundesweit gab es im Jahr 2021 24.650 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts, davon hatten allerdings lediglich 1.768 (7,2 Prozent) ihren Sitz in Ostdeutschland (ohne Berlin). 32 Jahre nach der Wiedervereinigung existieren im Osten Deutschlands also nach wie vor wesentlich weniger Stiftungen als im Westen.  

Stiftungsbestand: NRW ist Spitzenreiter  

Der Großteil der Stiftungen befindet sich in den westdeutschen Flächenländern Nordrhein-Westfalen (4.795), Bayern (4.337) und Baden-Württemberg (3.607).  Unter den ostdeutschen Ländern liegt mit 622 Stiftungen bürgerlichen Rechts Sachsen an der Spitze, gefolgt von Thüringen (367) und Sachsen-Anhalt (330).  

Die Unterschiede im Stiftungsbestand gehen also zunächst einmal auf die unterschiedlichen Einwohnerzahlen in den Bundesländern zurück. Die bevölkerungsreichsten und flächenmäßig größten Länder liegen in Westdeutschland und weisen entsprechend den größten Stiftungsbestand auf.  

Besonders viele Stiftungen finden sich außerdem in den Stadtstaaten Hamburg, Berlin, und Bremen. Allein Hamburg zählte 2021 1.464 Stiftungen, Berlin 1.039 und Bremen 342. Rund 12 Prozent aller rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts verteilen sich auf diese drei Städte (Abbildung 1).  

Neugründungen 2021: Hessen liegt vorn 

Stiftungsbestand 2021 auf Länderebene (rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts)
Abbildung 1: Stiftungsbestand 2021 auf Länderebene (rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts). Quellen: Stiftungsdatenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Statistisches Bundesamt.

Die Unterschiede zwischen Ost und West spiegeln sich auch in der Anzahl der neuerrichteten Stiftungen wider. In Deutschland wurden 2021 insgesamt 863 neue Stiftungen gegründet, 70 davon in den ostdeutschen Flächenländern. Spitzenreiter im Westen ist Hessen (247), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (129) und Baden-Württemberg (98). Mit 20 Neuerrichtungen hat Sachsen auch hier unter den ostdeutschen Ländern die Nase vorn, gefolgt von Brandenburg (17) und Sachsen-Anhalt (13).  

Nimmt man die Zahl der Neugründungen seit 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, in den Blick, zeigt sich bis Mitte der 2000er-Jahre vor allem in den westdeutschen Ländern ein deutlicher Anstieg bei den Neuerrichtungen. Doch auch in Ostdeutschland nimmt – auf geringerem Niveau – die Zahl der Stiftungsneugründungen in dieser Zeitspanne zu. Auffällig ist zudem, dass 2020 und 2021 – trotz Coronakrise – wieder deutlich mehr Stiftungen gegründet wurden. Dieser jüngste Trend fällt im Westen markanter aus als im Osten. 

Quelle: 1990-2000 Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht vom 19.10.2001. Ab 2001 Bundesverband Deutscher Stiftungen, Umfrage unter den Stiftungsbehörden.

Stiftungsdichte: Regionale Unterschiede in Ost wie West  

Setzt man den Stiftungsbestand ins Verhältnis zur Einwohnerzahl, ergibt sich die Stiftungsdichte (Zahl der Stiftungen pro 100.000 Einwohner). Durch die Berücksichtigung der Bevölkerungsunterschiede verringert sich die Diskrepanz zwischen West- und Ostdeutschland. Trotzdem ist die Stiftungsdichte in Westdeutschland mit 32,6 mehr als doppelt so hoch wie in Ostdeutschland (ohne Berlin) – hier gibt es lediglich 14,1 Stiftungen pro 100.000 Einwohner. 

Abbildung 3: Stiftungsdichte 2021 auf Kreisebene. Quellen: Stiftungsdatenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Statistisches Bundesamt. 

Bei einem differenzierten Blick auf die Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte relativieren sich die Unterschiede weiter. Denn dabei zeigt sich, dass es innerhalb der westdeutschen Flächenländer erhebliche regionale Unterschiede in der Stiftungsdichte gibt (Abbildung 3).  

So gibt es etwa in Bayern neben Stiftungshochburgen (wie die Städte Schweinfurt, Würzburg, Bayreuth, Ansbach) auch Landkreise, die unterhalb des ostdeutschen Mittelwertes liegen (Landkreise Erlangen-Höchstadt, Regensburg (Land), Dingolfing-Landau; vgl. Tabelle 1). Auf der anderen Seite kommen ostdeutsche Städte wie Dresden, Potsdam, Eisenach oder Weimar immerhin an den bayerischen Mittelwert heran oder übertreffen diesen gar. 

Es zeigt sich: Ländliche Regionen oder das Umfeld von Großstädten erreichen in allen Bundesländern nur eine deutlich unterdurchschnittliche Stiftungsdichte. Insgesamt hat die Mehrheit der Stiftungen ihren Sitz in Städten.

Tabelle 1: Stiftungsdichte in exemplarischen Kreisen und Städten, 2021 

Sachsen: 15,3 

Bayern: 33,0 

Dresden (Stadt): 29,3 

Schweinfurt (Stadt): 116,3 

Leipzig (Stadt): 13,7 

Würzburg (Stadt): 103,2 

Landkreis Leipzig: 9,3 

Erlangen-Höchstadt: 8,0 

Nordsachsen: 7,6 

Regensburg (Land): 7,2 

Quellen: Stiftungsdatenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Statistisches Bundesamt. 

Die Lage der Stiftungen im Osten gibt also durchaus Anlass zur Hoffnung. Offensichtlich existieren – ähnlich wie in den westdeutschen Flächenländern – Kristallisationskerne für eine lebendige Stiftungslandschaft, die möglicherweise als Ansatz- und Ausgangspunkte für eine Vitalisierung des Stiftungssektors dienen können.

Erklärungsansätze 

Worin liegen die Unterschiede im Stiftungsbestand, der Zahl der Neugründungen sowie der Stiftungsdichte begründet? Als Hauptursache ist neben der niedrigeren Bevölkerungszahl die geringere Wirtschaftskraft Ostdeutschlands zu nennen. In den vergangenen 30 Jahren konnte der Osten zwar deutlich aufholen – 2021 erreichte die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Länder 81 Prozent des Bundesdurchschnitts. Dennoch liegen hier dem Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit von 2021 zufolge weiterhin die strukturschwächsten Regionen.  

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (Grabka & Halbmeier, 2019) zeigt zudem, dass das individuelle Nettovermögen in Westdeutschland mit 121.500 Euro etwa doppelt so hoch ist wie in Ostdeutschland (55.000 Euro). Diese Vermögensdifferenz hat sich auch in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert und geht nicht zuletzt auf das politische System der DDR zurück. Aufgrund der vermögenskritischen Ideologie der DDR und der damit verbundenen Kollektivierungen und Verstaatlichungen von Privateigentum war es den DDR-Bürgerinnen und -Bürgern kaum möglich, Vermögen aufzubauen. Deshalb blieben nach der Wiedervereinigung ein Stiftungsboom und Aufholprozess in Ostdeutschland aus.  

Weitere Faktoren, die die Akkumulation von Vermögen bis heute erschweren, sind die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wende, niedrigere Löhne, aber auch geringere Marktwerte von Immobilien sowie die allgemein weniger ausgeprägte Verbreitung von Wohnungseigentum. Unter den Hochvermögenden (Personen mit einem Nettovermögen in Millionenhöhe) und Wohlhabenden (126.000 Euro bis unter 1 Million Euro) sind Personen, die in den ostdeutschen Bundesländern leben, mit einem Anteil von nur sechs beziehungsweise acht Prozent deutlich unterrepräsentiert (Schröder et al., 2020).

Historisches Erbe 

Somit fehlt es in den ostdeutschen Ländern an der wichtigsten Voraussetzung für eine Stiftungsgründung: dem erforderlichen Kapital. Zwar gibt es in Deutschland kein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestkapital, um eine Stiftung gründen zu können. Die Stiftungsaufsichtsbehörden empfehlen jedoch ein Kapital von mindestens 100.000 Euro. Und tatsächlich werden die meisten Stiftungen (rund 83 Prozent) mit einem Kapital zwischen 100.000 Euro bis unter einer Million Euro errichtet.  

Die Folgen dieses Kapitalmangels im Osten zeigt eindrucksvoll die Liste der dreißig größten Stiftungen in Deutschland, die der Bundesverband Deutscher Stiftungen zuletzt im November 2022 aktualisiert hat: Nahezu alle Stiftungen, die aufgrund ihres Eigenkapitals, ihrer Zweck- oder Gesamtausgaben in der Liste aufgeführt werden, haben ihren Sitz in Westdeutschland .

Schließlich wirkt auch der politisch restriktive Umgang der DDR mit den Stiftungen in Ostdeutschland bis heute nach. In der Staatsauffassung der DDR waren Stiftungen als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements unerwünscht. Bis 1956 wurden daher zahlreiche Stiftungen im Osten aufgelöst, zu Sammelstiftungen zusammengelegt oder sie mussten aufgrund der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihre Tätigkeit einstellen (Striebing, 2017). (Lesen Sie dazu den Artikel „Schatzsuche mit Hindernissen“ in diesem Dossier.)  

Ausblick   

Zwar hat sich das Stiftungswesen in Ostdeutschland in den vergangenen 32 Jahren beständig weiterentwickelt, und auch das freiwillige Engagement in den neuen Bundesländern ist hoch. Trotzdem gibt es nach wie vor großen Aufholbedarf. Die Stärkung des Stiftungswesens in Ostdeutschland muss daher weiterhin im politischen Fokus bleiben, wobei die wirtschaftliche Entwicklung strukturschwacher Regionen Ostdeutschlands im Vordergrund stehen sollte. Denn diese sind von der Abwanderung junger qualifizierter Menschen besonders betroffen.   

Neben der wirtschaftlichen Stärkung muss daher die Attraktivität von Standorten erhöht werden, damit ostdeutsche Regionen häufiger als Stiftungssitz gewählt werden. Hierzu gehört unter anderem die Förderung von Unternehmensgründungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Regionen, um den Vermögensaufbau, der für Stiftungsgründungen die wichtigste Voraussetzung ist, zu unterstützen. Eine Möglichkeit zur Stiftungsgründung bei geringem Vermögen bietet das Modell der Bürgerstiftungen als Kapitalzusammenschluss mehrerer engagierter Bürgerinnen und Bürger. Diese Option sollte verstärkt kommuniziert werden.

Quellen:  

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