„Wir wollen für alle ansprechbar bleiben“

Mit der School for Peace fördert die Robert Bosch Stiftung in Israel die Verständigung zwischen den jüdischen und den arabisch-palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern des Landes. Mit ihrem Geschäftsführer Dr. Bernhard Straub sprachen wir über die aktuelle Situation vor Ort, den Ansatz des Projekts und die Entscheidung der Stiftung, ihr Engagement in der Region noch auszubauen.     

Die School for Peace setzt auf Dialog zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen Israels – und hofft, das sich irgendwann wieder daran anknüpfen lässt.
© Ofir Berman / Robert Bosch Stiftung
5 Minuten 02.11.2023
Interview: Nicole Alexander

Stiftungswelt: Herr Dr. Straub, seit einigen Jahren fördert die Robert Bosch Stiftung die in einem Dorf zwischen Jerusalem und Tel Aviv gelegene School for Peace, eine Einrichtung, die sich für die Verständigung zwischen der jüdischen und der arabisch-palästinensischen Bevölkerung Israels einsetzt. Wie ist die Lage vor Ort aktuell?

Dr. Bernhard Straub: Die Menschen dort stehen noch immer unter Schock. Von einem normalen Alltag kann keine Rede sein, und zwar ganz egal, mit wem wir sprechen. Daher ist die Projektarbeit erst einmal ausgesetzt.

Stehen Sie denn weiterhin mit Ihren Partnern vor Ort in Kontakt?

Ja. Uns erreichen sehr bewegende, emotionale Botschaften und auch eine große Dankbarkeit, dass wir den Kontakt nicht abbrechen lassen. Wir wollen für alle Friedensakteure ansprechbar bleiben, egal auf welcher „Seite“ des Konfliktes sie ihre Arbeit tun. Das heißt nicht, dass wir keine Meinung haben. Doch die tut in diesem Moment nichts zur Sache. Wir achten vor allem darauf, dass diese Ansprechbarkeit erhalten bleibt. Denn unser Anliegen gerade auf lokaler Ebene ist es ja, den Kommunikationsfaden nie abreißen zu lassen.

Aber ist es nicht gerade für eine deutsche Stiftung in Israel sehr schwierig, keine Partei zu ergreifen?

Wir sind keine politische Akteurin mit einem politischen Auftrag oder einer politischen Agenda. Unserem Selbstverständnis entspricht es vielmehr, Partei für alle Menschen zu ergreifen. Und als Stiftung tun wir das, indem wir Projekte fördern, die zu einem friedlichen Zusammenleben aller Menschen in der Region beitragen. Wären wir die Bundesregierung oder die Vereinten Nationen, wäre das anders. Auf unserer Agenda ganz oben steht aber das Thema Menschlichkeit. Und über diesen Weg wird wahrgenommen: Wir sind eine deutsche Stiftung, und alle vor Ort wissen, was es bedeutet, deutscher Provenienz zu sein, das braucht man den Leuten nicht zu erklären.

Zu den Ländern des Nahen Ostens, in denen die Robert Bosch Stiftung tätig ist, zählen neben Israel auch der Jemen, der Irak und der Libanon. In den Palästinensischen Gebieten hingegen ist die Stiftung nicht aktiv. Warum nicht?

Weil es nicht unser Anliegen ist, in der Weltpolitik mitzumischen, wir sind wie gesagt nicht die UN. Unser Ansatz ist es vielmehr, Frieden und Stabilität auf lokaler Ebene zu unterstützen. Deshalb haben wir uns auf Städte und Gemeinden in Israel fokussiert, in denen der Anteil palästinensischer und arabischer Communities sehr hoch ist. Und natürlich arbeiten wir daran, dass das, was wir auf lokaler Ebene erfolgreich pilotieren, sich einfügt in Friedensbemühungen auf regionaler, überregionaler, nationaler und internationaler Ebene und irgendwann hoffentlich als Best Practice für Communities mit ähnlichen Problemlagen dient.

Wie sah die Projektarbeit der Stiftung in der School for Peace bis zu den Terrorattacken der Hamas gegen Israel konkret aus?

Bis zum 7. Oktober, dem Tag des Angriffs der Hamas, fanden dort Workshops und Weiterbildungen statt zu Themen, die alle Communities vor Ort gleichermaßen betreffen. In moderierten Gesprächsrunden tauschen sich die Teilnehmenden über mehrere Wochen zu Themen wie den Folgen des Klimawandels oder Umweltproblemen vor Ort aus, kommen so miteinander ins Gespräch und lernen dabei, Verständnis für die Position ihres Gegenübers zu entwickeln – unabhängig von dessen Herkunft oder Religion. Wichtig ist uns und unserem Partner, der School for Peace, dabei, dass sowohl jüdische als auch arabisch-palästinensische Israelis an diesen Kursen teilnehmen. Das Thema Frieden ist also gewissermaßen der Schirm, unter dem konkret zu Themen wie etwa dem Umgang mit dem Klimawandel gearbeitet wird.

Warum wird das Thema Frieden und Verständigung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Landes in diesen Workshops nicht direkt adressiert, weshalb nehmen Sie dabei den Umweg über andere Themen?

Als Umweg würde ich das nicht bezeichnen. Denn die Themen Frieden und Stabilität hängen ja direkt mit der Frage zusammen, wie man mit Konflikten umgeht. Und unsere Erfahrung nicht nur aus diesem Projekt zeigt, dass sich konfliktträchtige Themen wie etwa der Umgang mit Abfall oder der Zugang zu natürlichen Ressourcen auf lokaler Ebene besprechbar machen lassen und dass sich auf dieser Basis Beziehungen, Bekanntschaften, ja sogar Freundschaften zwischen den Angehörigen verschiedener Communities entwickeln können. Und auch wenn derzeit die Projektarbeit ruht, hoffen wir doch, dass sich längerfristig zeigen wird, dass die Basis für einen Dialog gelegt wurde und man irgendwann wieder daran anknüpfen kann.

Die Terrorattacken der Hamas und die extrem instabile Lage in Nahost sind für die Robert Bosch Stiftung also kein Grund, ihr Engagement in der Region zu überdenken?

Nein, im Gegenteil: Wir haben gerade beschlossen, es noch auszubauen.

Warum?

Weil gerade jetzt in dieser Krise deutlich wird, wie wichtig Angebote für den Austausch und die direkte Begegnung zwischen den Menschen sind – damit der Dialog zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht abreißt. Derzeit befindet sich der Nahe Osten in einer sehr schwierigen Phase des Konflikts. Doch wie lang diese Phase auch dauern mag – es wird eine Zeit danach geben. Und deshalb muss die Weltgemeinschaft im Großen und müssen die lokalen Communities im Kleinen alles dafür tun, dass es zu langfristigem Frieden und zu größerer Stabilität im Nahen und Mittleren Osten kommt. Wir als Robert Bosch Stiftung wollen unseren Beitrag dazu leisten. Und mit Frieden und Stabilität meine ich mehr als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt.

Wissen Sie bereits, wie diese Ausweitung der Fördertätigkeit in der Region aussehen wird?

Noch ist es zu früh, um sagen zu können, wie wir uns innerhalb des strategischen Korridors, den wir uns in unserem Thema „Frieden“ gesetzt haben, angesichts der aktuellen Entwicklungen aufstellen werden. Aber wir setzen uns natürlich bereits intensiv mit dieser Frage auseinander, wo möglich im direkten Austausch mit unseren Partnern. Konkret geht es darum zu entscheiden, welchen Anteil wir dafür einsetzen wollen, Bestehendes zu stärken, und welchen dafür, neuere, andere lokale Formate dazuzugeben, um die bestehenden Aktivitäten entweder zu flankieren oder zu potenzieren.

Vor dem Hintergrund der Terrorattacken der Hamas, aber auch der Situation in anderen Krisenregionen, in denen die Robert Bosch Stiftung aktiv ist: Wie gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie gehen Sie persönlich mit der Erfahrung um, dass jahrelange intensive Bemühungen um Dialog und Verständigung binnen weniger Stunden und Tage zunichte gemacht werden können?

Für mich ist das eine Frage der eigenen Haltung zur Welt. Selbstverständlich gibt es bei unserem Engagement, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, auch Rückschläge. Wir sind aber dafür da, Tag für Tag daran zu arbeiten, unsere Ziele zu erreichen – ganz egal ob wir in der Demokratieförderung tätig sind, im Thema Konflikte und Frieden oder im Umweltschutz. Ich nenne das eine potenzialorientierte Logik. Das ist das eine.

Und das andere?

Wir verfolgen mit unseren Themen ja strategische Ziele. Im Gegensatz zu einem Plan, der davon ausgeht, dass alles funktioniert, sind Rückschläge in Strategien immer eingepreist. Pläne muss man im operativen Geschäft fortlaufend aktualisieren, unserem strategischen Ziel aber bleiben wir treu. Auf die Situation im Nahen Osten bezogen bedeutet das, dass wir natürlich weiterhin beharrlich an unserem Ziel eines nachhaltigen Friedens in der Region arbeiten. Die Ereignisse des 7. Oktober bedeuten einen Rückschlag, aber kein Ende für dieses Ziel. Trotz des unermesslichen Leids in der Bevölkerung sehen und erleben wir, dass sich viele Menschen gerade jetzt für mehr Dialog und Verständigung in der Region einsetzen wollen.

Dass die Stiftung ihre Förderung im Nahen Osten ausbaut, ist also eine Entscheidung im Rahmen ihrer Gesamtstrategie im Themenfeld Frieden?

Ja, aber zuallererst ist sie für uns natürlich eine Herzensangelegenheit. Denn bei aller Professionalität in unserer Stiftung sind wir eben auch Menschen, die angesichts des unermesslichen Leides in einer Region, in der wir viele Partner haben und uns engagieren, einfach helfen wollen. Aus dieser Empathie heraus entstand der Impuls, unsere Förderung aufzustocken. Die rationale Überlegung, wie sich dies in unsere grundsätzliche Strategie einfügt, war dann der zweite Schritt.

Über den Gesprächspartner:

Dr. Bernhard Straub
© Verena Müller / Robert Bosch Stiftung

Dr. Bernhard Straub ist seit Juli 2021 Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung. Vor seinem Eintritt in die Stiftung verantwortete er sieben Jahre lang den Geschäftsbereich Electrical Drives der Robert Bosch GmbH. Zuvor war der studierte Wirtschaftsingenieur, der an der London School of Economics and Political Science in Informatik und Soziologie promoviert wurde, in verschiedenen Positionen für das Unternehmen tätig, unter anderem in Indien und Japan.

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