• Vielfalt in Stiftungen

„Man sagt mir nach, dass ich sehr hartnäckig bin“

Mit Anfang 20 reist Eske Nannen zwei Jahre lang auf einem Schiff um die Welt, mit Anfang 40 wird sie Geschäftsführerin der von ihrem Mann Henri Nannen 1983 als Stiftung gegründeten Kunsthalle Emden, heute, mit Anfang 80, steht sie weiterhin dem Stiftungsrat vor. Im Interview blickt die gebürtige Ostfriesin zurück auf ihr bewegtes Leben.

Porträt von Eske Nannen
© Martinus Ekkenga
7 Minuten 20.01.2024
Interview: Nicole Alexander

Frau Nannen, mit Anfang 20 sind Sie von Italien aus zu einer Weltreise per Schiff aufgebrochen – für eine junge Frau, zumal Mitte der 1960er-Jahre, ziemlich ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Eske Nannen:
Das war, wie so oft in meinem Leben, ein glücklicher Zufall. Ich hatte zuvor in meiner Heimatstadt Emden auf einer Werft gearbeitet, unter anderem für eine Hamburger Reederei. Deren Direktor hat mir als Dank eine Schiffspassage ins Mittelmeer geschenkt. Im Hafen von Civitavecchia habe ich dann ein Schiff gesehen, eine schwimmende Universität, deutsche Besatzung, amerikanische Studenten. Und als ich mich erkundigt habe, wohin das Schiff fährt, hieß es, dass es auf Weltreise geht. Da stand für mich fest: Ich muss auf dieses Schiff, denn ich wollte unbedingt fremde Länder kennenlernen.

Wie haben Sie es angestellt, dass Sie mitfahren durften?
Man sagt mir nach, dass ich sehr hartnäckig bin. Und ich bin damals wirklich von Pontius zu Pilatus gelaufen, bis ich endlich einen Job in der Zahlmeisterei des Schiffes hatte. Wahrscheinlich wäre ich auch als Stewardess mitgefahren, um die Welt zu sehen. Insgesamt bin ich zwei Jahre zur See gefahren – eine großartige Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich habe jetzt noch Verbindungen zu meinem Schiffskreis von damals.

Zwei Jahre per Schiff um die Welt – ganz schön mutig. 
Ja, diesen Mut habe ich meinem Elternhaus zu verdanken, das mir eine tiefe Vertrauensbasis geschenkt hat. Auf dieser Grundfeste habe ich mein Leben aufgebaut. Egal ob ich in Alaska war oder im Urwald – ich wusste, wenn es nötig wäre, würden mich meine Eltern überall rausholen. Ich glaube, ich war zehn oder zwölf Jahre alt, da sind sie mit meinem Bruder und mir nach Rom gefahren – auch das war in den 1950er-Jahren sehr ungewöhnlich. Christlich, tolerant gegenüber anderen Menschen und neugierig auf die Welt – so bin ich erzogen worden. Ich glaube, das hat sehr viel ausgemacht.

Glauben Sie, dass es für junge Frauen heute grundsätzlich einfacher ist, ihre Träume und Wünsche zu leben, als es zu der Zeit der Fall war, als Sie jung waren?
Da bin ich nicht so sicher. Ich glaube, es hängt sehr viel von der Bildung und dem Elternhaus ab. Viele haben ja gar nicht die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn sie es dann aus eigener Kraft schaffen, kann ich nur sagen: Chapeau!

Über Ihr Elternhaus haben Sie auch Ihren späteren zweiten Ehemann, den Journalisten und Verleger Henri Nannen, kennengelernt.
Ja, Henri stammte wie mein Vater aus Emden, die beiden waren Sandkastenfreunde. Wir begegneten uns wieder, als wir aus ganz unterschiedlichen Gründen – ich lebte damals in Berlin, Henri in Hamburg – Anfang der 1980er-Jahre in unsere gemeinsame Heimatstadt Emden zurückkehrten.

Ansicht der Kunsthalle Emden mit Bootsanlegestelle, Malschule und Museumscafé
Ansicht der Kunsthalle Emden mit Bootsanlegestelle, Malschule und Museumscafé
© Karlheinz Krämer

Eine Rückkehr, die sich für die ostfriesische Seehafenstadt als Glücksfall erweisen sollte. Denn Ihr Mann überführte 1983 seine private Kunstsammlung mit dem Schwerpunkt Klassische Moderne in die Stiftung Henri Nannen und nutzte sein privates Vermögen für den Bau der Kunsthalle Emden – heute eines der bedeutendsten Museen Norddeutschlands.
Ja, das war schon ein erstaunliches Vorhaben – zumal in einer kleinen Stadt wie Emden und noch dazu in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Und dann plötzlich dieser Hoffnungsschimmer: Ein ehemaliger Emder, ein Rückkehrer, schenkt seiner Heimatstadt ein Museum. „Henri Nannen baut seinen Bildern ein Haus“ – das war gewissermaßen der Leitgedanke des Projekts. Das hat bei vielen großes Erstaunen hervorgerufen, vielleicht auch ein bisschen Skepsis. Doch später wurde Henri die Ehrenbürgerschaft der Stadt Emden verliehen und vor einigen Wochen auch mir.

Für Aufsehen dürfte damals auch gesorgt haben, dass mit Ihnen eine Frau Geschäftsführerin der frisch gegründeten Stiftung wurde. Wie haben Sie selbst das erlebt?
Ich habe das nie als etwas Ungewöhnliches empfunden. Vielleicht liegt das daran, dass ich aus einem Unternehmer-Haushalt komme und meine Mutter mit in der Firma war – das war eine selbstverständliche Partnerschaft. Nach dem Tod meines Mannes 1996 wurde schon gelegentlich gefragt, wie es denn jetzt weitergehen soll mit der Kunsthalle. Aber für mich war diese Frage nicht relevant. Für mich war klar: Da ist etwas zu tun, und das mache ich.

„Für mich war klar: Da ist etwas zu tun, und das mache ich.“

Eske Nannen
Vorsitzende des Aufsichtsrats der Kunsthalle Emden sowie der Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo
Otto Mueller, Knabe vor zwei stehendem und einem sitzenden Mädchen, 1913. Kunsthalle Emden
Otto Mueller, Knabe vor zwei stehendem und einem sitzenden Mädchen, 1913. Kunsthalle Emden
© Kunsthalle Emden

Haben Sie niemals Vorbehalte Ihnen gegenüber als Frau in Führungsposition gespürt? 
Nein, nie. Ich glaube, das lag auch daran, dass die Leute, mit denen ich Gespräche geführt oder die ich um eine Förderung gebeten habe, wussten, dass ich für die Sache stehe. Und dass das eine gute Sache ist, die Kunsthalle und die angeschlossene Malschule, die mir ebenfalls sehr am Herzen liegt. Es ist ja auch ein großer Vertrauensbeweis, wenn Menschen sich einbringen und einen unterstützen – ganz egal, wie viel oder wenig Geld sie geben.

Was ist Ihnen aus der Zeit der Stiftungsgründung besonders in Erinnerung geblieben?   
Es gab viele bewegende Momente. Zum Beispiel als wir uns überlegt haben, wie das Haus aussehen soll und wie wir es gestalten wollen. Ein Höhepunkt war natürlich die feierliche Eröffnung am 3. Oktober 1986 durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Am Anfang war das ja ein kleines Haus mit 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche und ein paar Büros nebendran. Das eigentlich Erstaunliche ist, was im Laufe der Jahre daraus geworden ist.

Heute verfügt die Kunsthalle Emden über rund 1.600 Kunstwerke auf 1.700 Quadratmetern Ausstellungsfläche, etwa 650 hat Ihr Mann Henri Nannen bei der Gründung selbst eingebracht. Haben Sie persönlich ein Lieblingsbild in der Sammlung? 
Ja, und zwar Otto Müllers „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“. Dieses Bild hatte Henri 1979 im Kunsthandel in London erworben. Nach seinem Tod erfuhren wir, dass es aus dem Besitz von Ismar Littmann stammte, einem jüdischen Rechtsanwalt. Der damalige Vorsitzende unserer Stiftung Axel Hecht hat dann recherchiert, dass die rechtmäßige Erbin, die Tochter Littmanns, in Israel lebte. Wir haben daraufhin Kontakt zu ihr aufgenommen, haben sie nach Emden eingeladen und sind schließlich übereingekommen, das Bild von ihr zurückzukaufen. Auch aufgrund dieser Geschichte bewegt mich das Bild ungemein. Aber es gibt immer wieder auch Kunstwerke von Schülerinnen und Schülern unserer Malschule, die mich sehr berühren. Überhaupt bedeutet mir die Malschule sehr viel.

Warum?
Weil ich als Mutter eines Sohnes weiß: Wer frühzeitig mit Kunst in Berührung kommt, geht gestärkt durchs Leben. Darum haben wir sie 1983, drei Jahre vor Eröffnung der Kunsthalle, gegründet. Umso bedauerlicher finde ich, dass es in vielen deutschen Museen bis heute kaum Kreativräume und Werkstätten gibt, in denen sich die Besucherinnen und Besucher mit ihrem Kunsterlebnis ganz praktisch auseinandersetzen können. Dabei ist das Interesse riesig: Wir haben aktuell pro Woche 230 Teilnehmer in unseren Malkursen, die jüngsten sind zwei Jahre alt, die ältesten 86.

Wie sah eigentlich die Arbeitsteilung zwischen Ihnen und Ihrem Mann aus? Vermutlich ist es ja nicht ganz ohne, die Stiftung des Ehepartners zu führen. 
Alle großen Persönlichkeiten haben ihre Ecken und Kanten, aber wir haben uns sehr gut ergänzt, würde ich sagen. Mein Mann hat die Stiftung nach außen repräsentiert, und ich war für den inneren Bereich, das Organisatorische, zuständig – und das war nicht wenig. Wir haben ja auch noch einen Kunstverein gegründet, mit dem wir sehr viele Reisen gemacht haben, nach New York etwa oder nach Moskau. Und diese Reisen habe alle ich organisiert.

Sie haben offensichtlich nicht nur fürs Organisatorische ein Händchen, sondern auch fürs Fundraising: Im Laufe der Jahre sollen Sie über 20 Millionen Euro eingeworben haben.
Ja, diese Summe hat unser Verwaltungsleiter vor zehn Jahren ausgerechnet. Zuvor schon war mir der Deutsche Fundraising Preis verliehen worden. Inzwischen dürfte die Summe noch deutlich höher liegen. Aber das ist mir gar nicht so bewusst geworden. Es war halt einfach nötig, und dann bin ich los.

Innenaufnahme Kunsthalle Emden mit Werken aus der Schenkung Otto van de Loo.
Innenaufnahme Kunsthalle Emden mit Werken aus der Schenkung Otto van de Loo.
© Erhard Bühler

Ein Beispiel?
Ich erinnere mich, dass wir für den Erweiterungsbau der Kunsthalle dringend einen Bodenbelag brauchten. Pflegeleicht sollte er sein, denn bei Veranstaltungen wird ja schnell mal Rotwein auf dem Boden verschüttet. Ich habe mich dann in Berlin bei verschiedenen Behörden nach einem geeigneten Stein für einen solchen Belag erkundigt. Als wir einen passenden ausfindig gemacht hatten, hieß es, dass er in China hergestellt wird. Daraufhin habe ich mich auf die Suche nach einem Reeder gemacht, der uns diesen Stein von dort kostenlos mitbringt.

Und ist es Ihnen gelungen?
Ja, der Stein wurde wirklich umsonst befördert. Wir haben aber auch kleine Dinge eingeworben, Garderobenhaken zum Beispiel oder einen Computer. Manchmal muss man auch den Mut haben, zweimal um etwas zu bitten. Es wird mir nachgesagt, dass ich sehr hartnäckig bin, aber ich sage Ihnen eines: Ich weiß ganz genau, dass ich zu jedem, der uns gefördert hat, noch einmal kommen kann – und da spielt es für mich keine Rolle, ob derjenige hundert Euro gegeben hat oder hunderttausend. Diese Verbindung zu unseren Spenderinnen und Spendern, die ist uns ganz wichtig.

Wie pflegen Sie diese Verbindung?
Ein Beispiel: In Emden wohnt eine ältere Dame, die uns zugestiftet hat. Heute ist sie über 90, aber selbstverständlich laden wir sie immer noch zu unseren Ausstellungseröffnungen samt anschließender Feier bei mir zuhause ein. Ich sorge dafür, dass sie abgeholt und wieder nach Hause gebracht wird. Mein ganzes Team ist so. Und das muss ich immer wieder sagen: Ich habe einiges auf die Beine gestellt, aber ohne mein Team bin ich nichts.

Stiften war lange Zeit männlich geprägt, doch das wandelt sich allmählich. Was würden Sie einer Frau raten, die sich mit dem Gedanken trägt, eine Stiftung zu gründen?
Ich würde sagen: einfach machen. Stiften ist ein Geschenk, das man weitergibt und für das man so viel zurückbekommt – unabhängig davon, ob man sich für Kunst engagiert oder für Tierwohl oder ganz etwas anderes. Ich freue mich von Herzen über jeden und jede, die stiftet, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie sehr es das Leben bereichert.

Über die Gesprächspartnerin:

Eske Nannen wurde 1942 in Emden geboren. Von 1983 bis 2017 war sie Geschäftsführerin der von ihrem Mann, dem Journalisten und „Stern“-Gründer Henri Nannen, als Stiftung gegründeten Kunsthalle Emden. Zudem kümmerte sie sich geschäftsführend um den Kunstverein Ludolf Backhuysen-Gesellschaft, der später mit den Freunden der Kunsthalle e. V. fusionierte, um die Malschule und um den Museums-Shop. 2017 übernahm Eske Nannen den Vorsitz des Aufsichtsrates der Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo.

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