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„Wir wollen die existierenden starren Strukturen aufbrechen“

26 Jahre jung, Aufsichtsratsvorsitzende einer Stiftung und Führungskraft bei einer NGO: Janina Lehmann ist sozial engagiert, politisiert – und eine typische Vertreterin der Generation Z. Junge Menschen wie sie sind gerade dabei, die Arbeitswelt aufzumischen. Uns hat Janina Lehmann verraten, was ihre Generation vom Stiftungssektor erwartet – und was in ihren Augen besser ist als eine Stiftung zu gründen. 

Janina Lehmann im Garten der Kreuzberger Kinderstiftung.
© BVDS_BeateWild
5 Minuten 21.07.2023

Während andere mit 26 Jahren noch im 13. Semester studieren, hat Janina Lehmann schon eine Karriere hingelegt, die man durchaus als steil bezeichnen kann. Bereits seit zwei Jahre ist die junge Berlinerin Aufsichtsratsvorsitzende der Kreuzberger Kinderstiftung. Nun hat sie ihren ersten Job nach dem Studium angetreten, eine Führungsposition bei einer NGO. Lehmann ist eine Vertreterin der Generation Z, also der Generation der 11- bis 26-Jährigen, die gerade dabei ist, die Arbeitswelt umzukrempeln. Die Vier-Tage-Woche und das Konzept einer besseren Work-Life-Balance sind Ideen, mit denen die GenZ-Vertreter*innen derzeit Personalverantwortliche von Flensburg bis Füssen nervös machen. Ist die Generation Z womöglich auch in der Lage, die angestaubte Stiftungswelt aufzurütteln? 

Wir treffen Janina Lehmann an einem heißen Tag im Juni 2023 im Backsteinhäuschen der Kreuzberger Kinderstiftung. Im Garten der idyllisch am Berliner Landwehrkanal gelegenen Stiftung tollen Kinder einer benachbarten Kita durch das Gras. Sie dürfen das Grundstück der Stiftung nutzen, damit sie Platz zum Spielen im Freien haben. Auf ihren schnellen beruflichen Aufstieg angesprochen, lacht Janina Lehmann fast schon verlegen und sagt: „Manchmal denke ich mir schon, ob ich da wohl ein paar Schritte übersprungen habe.“  

Lehmann gehört zu den älteren Vertreterinnen der Generation Z. Über diese Kohorte, die in Deutschland aktuell die bevölkerungsstärkste Altersgruppe bildet und rund 16,68 Millionen Menschen umfasst, wird derzeit viel geschrieben. Oftmals ist in diesen Texten von „hohen Ansprüchen“ oder gar von „arbeitsscheu“ die Rede. Attribute, die mit Janina Lehmann nichts zu tun haben. Typische GenZ-Zuschreibungen, die dagegen sehr wohl auf sie zutreffen: politisiert, sozial engagiert, aktivistisch. „Viele aus meiner Generation haben ein politisches Bewusstsein entwickelt wie vielleicht zuletzt die 68er-Bewegung vor uns“, sagt Lehmann. „Wir setzen uns für soziale Gerechtigkeit ein und wollen die existierenden starren Strukturen aufbrechen.“ 

Alarmiert durch die ständigen Krisen unserer Zeit 

Janina Lehmann muss nie lange überlegen, bevor sie auf Fragen antwortet. Ihre Sätze kommen schnell, klar und eindeutig. Ihre Weltsicht ist von den vielen Gegenwartsproblemen unserer Zeit geprägt: Corona, Ukraine-Krieg, Klimawandel. Lehmann ist, wie viele ihrer Altersgenoss*innen, durch die ständigen Krisen unserer Zeit alarmiert. Eine konkrete Zukunftsangst vor Augen ist diese Generation motiviert, die Ärmel hochzukrempeln und für eine bessere Welt zu kämpfen. Nach dem Motto: Wenn unsere Generation es nicht anpackt, wer denn sonst? 

Mit der Kreuzberger Kinderstiftung hat Lehmann schon zu tun, seit ihr die Stiftung nach ihrem Realschulabschluss ein Stipendium für ein Auslandsjahr in Eugene, Oregon, USA, gewährt hat. Etwa 60 solcher Stipendien für Real- und Mittelschüler vergibt die Stiftung pro Jahr. Für die Teenager, die oft aus nicht so gut betuchten Familien kommen, eine Gelegenheit, hinauszugehen in die Welt und ein fremdes Land kennenzulernen. Noch heute schwärmt Lehmann von dieser einmaligen Chance und ihren Erfahrungen, die sie für ihr weiteres Leben geprägt haben. 

Nach ihrer Rückkehr aus den USA macht sie ihr Abitur und studiert Politik an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Anschließend schreibt sie sich für den Studiengang International Affairs an der Hertie School of Governance in Berlin ein, vor wenigen Wochen hat sie ihr Abschlusszeugnis erhalten. Der Kreuzberger Kinderstiftung ist Lehmann seit ihrem USA-Aufenthalt durch ihre Mitarbeit in deren Jugendrat verbunden geblieben. Dieser entscheidet selbstständig über Projekte der Stiftung – ohne finanzielle Obergrenze.  

Heute ist Lehmann nicht nur Aktionärin der seit 2014 existierenden gemeinnützigen Aktiengesellschaft der Kreuzberger Kinderstiftung, sondern sogar deren Aufsichtsratsvorsitzende. 87 Aktionäre gibt es momentan, die vergangene Hauptversammlung hat eine Kapitalerhöhung auf 140 Aktionäre beschlossen. Ihr Job als Aufsichtsratsvorsitzende ist es, wie bei jeder Aktiengesellschaft üblich, die Arbeit des Vorstands zu kontrollieren. Eine sehr große Aufgabe für einen jungen Menschen? 

 

„Wem Vertrauen geschenkt wird, dem fällt es leichter zu wachsen.“

Janina Lehmann

Lehmann nickt. Ja, schon, es sei eine große Verantwortung, doch bei der Kreuzberger Kinderstiftung hätten die Menschen sie stets an die Hand genommen und immer ehrlich beraten. In ihre jetzige Rolle sei sie dadurch hineingewachsen. „Wem Vertrauen geschenkt wird, dem fällt es leichter zu wachsen“, sagt sie. 

Für Peter Ackermann, dem 84-jährigen Gründer der Stiftung, ist die Beteiligung von jungen Menschen an der Stiftungsarbeit eine Selbstverständlichkeit. „Wir existieren nicht um unserer selbst willen, sondern für die außerschulische Bildung Jugendlicher. Deshalb sind wir gemeinnützig. Daraus folgt, dass wir die Bedürfnisse unserer Zielgruppe nur erkennen können, wenn wir diese in alle Entscheidungsprozesse einbinden“, sagt er am Telefon.  

Die Rechtsform der gemeinnützigen Aktiengesellschaft ist für ihn das Praktizieren von Demokratie innerhalb der Stiftung. „Die AG unterliegt strengen Transparenzvorschriften und die Hauptversammlung der Aktionär*innen wählt den Aufsichtsrat, der Kontrollinstanz des Vorstands ist“, erklärt Ackermann. Und noch ein großes Plus hat diese Rechtsform für ihn: „Ein Vorteil der gemeinnützigen AG liegt unter anderem darin, dass das in ‚klassischen‘ Stiftungen häufig bestehende Problem der Vorstandsnachfolge gelöst wird, weil die Bestellung und Abberufung des Vorstands der AG der ausschließlichen Verantwortung des Aufsichtsrats unterliegt.“

© BVDS_BeateWild

 

Gemeinnützige AG: „Zufriedenheit ist gar kein Ausdruck“ 

Die Errichtung der gemeinnützigen AG hat sich also bewährt? „Zufriedenheit ist gar kein Ausdruck, diese Konstruktion hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen“, sagt Ackermann. „Durch den großen Kreis der Aktionär*innen ist gewährleistet, dass die Arbeit immer weitergeführt werden kann, unabhängig von den jeweils in der Verantwortung stehenden Personen.“ 

Die Generation Z erlebt Ackermann in seiner Stiftung als politisch interessiert und sehr motiviert. Junge Menschen einzubeziehen und ihnen Verantwortung zu übertragen, kann er „allen in der freien Jugendarbeit Tätigen zur Nachahmung empfehlen“. Janina Lehmann, die amtierende Aufsichtsratsvorsitzende, nennt er eine „besonders engagierte und kluge junge Frau“. Eigenschaften, die auf Lehmann ohne Frage zutreffen. Seit Mai 2023 ist sie „Lead of Administration and Organizational Management“ bei der NGO Humanity in Action Germany.  

Neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für die Kreuzberger Kinderstiftung hat sie sich auch der Her.Tietz-Initiative angeschlossen, eine Gruppe Studierender und Alumnae der Hertie School in Berlin. Die Initiative setzt sich für einen transparenten und verantwortungsvollen Umgang der Hertie-Stiftung mit ihrer Geschichte und ihrer Rolle im Nationalsozialismus ein. 

Um Zeit zu finden für ihr vielfältiges ehrenamtliches Engagement, habe auch sie – wie viele ihrer Altersgenoss*innen – überlegt, nur in Teilzeit zu arbeiten, sagt Lehmann. Jetzt ist es doch eine Vollzeitstelle geworden, aber: „Der Beruf steht bei vielen aus meiner Generation nicht mehr im Mittelpunkt, denn das Wohlstandsversprechen ist für die junge Generation sowieso nicht mehr einzulösen.“ Zudem wäre die Vier-Tage-Woche doch ein genialer Anreiz, um Jobs wie die Pflegeberufe attraktiver zu machen. Bei dem Fachkräftemangel in Deutschland sollten sich Arbeitgeber dringend umorientieren, findet sie. 

„Stiftungen sind oft in ihrer Bubble. Dabei wäre es so wichtig, sich zu öffnen für neue Menschen und neue Ideen.“

Janina Lehmann

Um ein attraktiver Arbeitgeber für junge Menschen zu werden, empfiehlt Lehmann den Stiftungen, bei den Arbeitszeiten flexibler zu werden und bessere Angebote zu machen. Anreize wie Jobticket, Leasing-Fahrrad oder Sportangebote würden gerade für junge Arbeitnehmer*innen immer wichtiger. „Stiftungen in Deutschland erlebe ich oft als zu starr und eingefahren in ihren alten Strukturen. Aber auf dem diesjährigen Deutschen Stiftungstag hatte ich erstmals das Gefühl, dass sich hier gerade wirklich etwas ändert“, sagt sie. „Stiftungen sind oft in ihrer Bubble. Dabei wäre es so wichtig, sich zu öffnen für neue Menschen und neue Ideen.“ Dazu gehört für sie auch: weniger Bürokratie bei der Antragsstellung, mehr Frauen in Führungspositionen, mehr Austausch auf Augenhöhe und mehr Vertrauen in Projektpartner*innen. 

Und wenn sie genug Geld hätte, welche Stiftung würde sie selbst gründen? Die Antwort, die Janina Lehmann gibt, überrascht: „Ich glaube nicht, dass ich eine eigene Stiftung gründen würde. Ich bin der Meinung, dass wir keine neuen Stiftungen brauchen, es gibt schon so viele Stiftungen in Deutschland.“ Lieber solle jemand, der mit seinem Geld Sinnvolles tun möchte, über eine Zustiftung nachdenken und darüber, in welche bereits bestehende Projekte er investieren könne. „Bildung ist der Schlüssel zu sozialem Aufstieg. In Deutschland hängt der Zugang zu Bildung immer noch maßgeblich vom Geldbeutel der Eltern ab. Deshalb würde ich mein Geld an bestehende Stiftungen spenden, welche Bildungsgerechtigkeit fördern. Zum Beispiel mit kostenloser Nachhilfe oder Stipendien.“ 

Pläne für die Zukunft hat sie natürlich auch schon. „Ich könnte mir vorstellen, in die Politik zu gehen. Da sitzt man an ganz anderen Stellschrauben als in einer NGO.“ Doch egal, wohin es die 26-Jährige beruflich noch verschlagen wird, eines ist sicher: Bei der Kreuzberger Kinderstiftung will Janina Lehmann noch lange ehrenamtlich weitermachen. 

Diskussion ( 1 )


"Wohlstandsversprechen für die junge Generation nicht einlösbar, also 4 -Tage Woche einführen", sprich 20% weniger arbeiten und 20% weniger verdienen. Wovon sollen die genannten Pflegekräfte ihre Miete bezahlen? Das klingt mir nicht nach "kluge Frau", wie Herr Ackermann Janina Lehmann nennt. Janina Lehmann hat bisher viel von unserer Wohlstandsgesellschaft profitiert: Die Kinderstiftung hat ihr ein Auslandsjahr spendiert. Dann offenbar Studium ohne für den Lebensunterhalt zu jobben. Schon lange im Jugendrat der Stiftung, der sich damit beschäftigt, "anderer Leut`s Geld" auszugeben. Dann Aufsichtsratsvorsitzende der Kinderstiftung, auch hier geht es nicht um die Balance, dass nur das Geld ausgegeben werden kann, das durch produktive Arbeit verdient wird. Stattdessen Nachdenken über die Work/Life- Balance - als ob Work nicht Life wäre! Und nun direkt nach dem Studium Lead of Administration and Organisation bei Humanity in Action Germany. Sie bleibt in der Bubble der Wohltäter und lebt von deren Geld. Dabei wäre es für jeden Politologen und Absolventen von "International Affairs" wichtig, in einem Unternehmen zu arbeiten, das im Wettbewerb steht und wo jeder weiß, dass nur ausgegeben werden kann, was man durch Fleiß und Intelligenz eingenommen hat.

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